Rezension

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Der Charme des Bodenständigen

Steirerkreuz - Claudia Rossbacher

Steirerkreuz
von Claudia Rossbacher

Am Rande eines Pilgerweges nach Mariazell wird eine auf grausame Weise zur Schau gestellte Leiche gefunden: Ein Einsiedler und sein Hund hängen an den Beinen aufgeknüpft von einem Baum, Sandra Mohr und Sascha Bergmann vom LKA Graz müssen ermitteln. Daß das Motiv in der Vergangenheit des Ermordeten zu suchen ist, wird relativ schnell klar, wurde er doch der Vergewaltigung beschuldigt und von der Dorfgemeinschaft verstoßen. Um herauszufinden, welche Rollen die blinde kräuterkundige Magdalena, der adlige Eigentümer des großen Forstbetriebs und ein mit unzähligen religiösen Motiven tätowierter ehemaliger Sträfling in dem Fall spielen, müssen sich Mohr und Bergmann durch ein dichtes Geflecht dörflicher Beziehungen arbeiten ...

In ihrem mittlerweile vierten Roman um die Grazer Ermittlerin Sandra Mohr stellt die gebürtige Wienerin Claudia Rossbacher einmal mehr ihre Affinität zur Steiermark unter Beweis. Wie die drei Vorgängerbände ist auch "Steirerkreuz" in einer Region des Bundeslandes angesiedelt, die im Verlauf der in zwanzig Kapitel gegliederten Handlung nach und nach ihre Eigenheiten offenbart. Die Perspektive ist auktorial, abgesehen von einzelnen Ereignissen aus der Sicht der in den Fall involvierten Figuren liegt der Focus auf Sandra Mohr, mit der die Autorin sich offensichtlich identifizieren kann.

Wie viel Dialekt darf dem Leser zugemutet werden? In sprachlicher Hinsicht wagt die Autorin eine Gratwanderung zwischen Beliebigkeit und Heimatdichtung. Einerseits ist eine ortsspezifische Färbung der Sprache für den Regionalkrimi ebenso wichtig wie die obligate Leiche, andererseits sollte sie ein formal tragendes, nicht getragenes Element sein. Im konkreten Fall halten sich die (neutralen) Ermittler an ein dudenkonformes Deutsch, während die Mitglieder der Dorfgemeinschaft in einer Form der Umgangssparche parlieren, die durch Auslassungen und einzelne Ausdrücke wie "mordsdrum", "Lauser" oder "kiefeln" geprägt ist. Sprachliche Unebenheiten werden somit nicht wie oft zugunsten der Lesbarkeit planiert, sondern bewußt als Stilmittel genutzt, um die Eigenheiten des Handlungsortes hervorzustreichen. Jedoch wirkt die Autorin hier, als sei der Dialekt für sie noch nicht vollständig vertrautes Terrain. Die Grußformeln "Griaß di" und "Pfiat di" gehen den Protagonisten leicht von den Lippen, doch Begriffe wie "varreat" wirken zuweilen wie Fremdkörper im Text. Da wird zwar österreichtypisch "ein Cola" mit sächlichem Genus bestellt, wenig später jedoch "die Ermittlungsakte" erwähnt. Auch trägt es nicht zur Authentizität bei, wenn eine Figur einen Hund als "Köter" bezeichnet und kurz darauf ihr Gegenüber mit "Halt deine Goschn" zum Schweigen bringen will.

Zu Beginn eines Krimis ist es stets ein Mord, der die Abgeschlossenheit einer sozialen Gruppe aufbricht und die Aufmerksamkeit außenstehender Beobachter auf sich zieht. Von dieser neutralen Position aus nutzt der Autor die Gelegenheit, Sozialkritik zu üben, pointierte Überlegungen anzustellen oder eine spannende Geschichte zu erzählen. Claudia Rossbacher erweist sich hier in bewährter Weise als aufmerksame Beobachterin des dörflichen Lebens und präsentiert ein buntes Panoptikum an im Ort alltagsrelevanten Themen. Hier sind etwa der Fahrplan der U-Bahn oder der lärmende Nachbar am Gang irrelevant, vielmehr wird der Bogen von (Volks-)Glaube über undurchsichtige Verwandtschaftsverhältnisse hin zur Forstwirtschaft gespannt. Hier nimmt das Wirtshaus die archaische Rolle des Dorfplatzes ein, auf dem man einander begegnet und über gemeinsame Sorgen austauscht. Hier gibt es den Schutzmantel der urbanen Anonymität nicht, wo jeder jeden kennt, ist man dem Dorftratsch ausgeliefert.

Und "Dorftratsch" ist auch der vielbeachtete Titel des Salzburger Autors Oskar Feifar, der mit seinem sprachlichen Skalpell die Sozialstrukturen eines fiktiven österreichischen Dorfes seziert. Nimmt man mit Claudia Rossbacher im Jagdstüberl des Schlosses des Gutsbesitzers Platz, wird deutlich, daß sie in der Schärfe ihrer Analyse ihrem schreibenden Kollegen in nichts nachsteht. Dabei formuliert sie sachlich, wertet nicht und bleibt auch bei kontroversiellen Themen wie dem Mißtrauen gegenüber Asylanten angenehm unpolitisch.

Es gibt Romane, die möchte man mit dem Slogan eines Süßwarenherstellers "Wenn ich nur aufhören könnte" zusammenfassen. Claudia Rossbachers neuer gehört zu diesen. Woher seine Faszination rührt, ist schwer zu bestimmen. Es mag sprachlich versiertere Autoren, Texte mit weitaus raffinnierterem Spannungsaufbau geben, in dem Moment, in dem man mit den Grazer Ermittlern durch das Mariazeller Land streift, sind sie alle in weite Ferne gerückt. Vermutlich ist es die behutsame Offenlegung des kleinbürgerlichen Seelenlebens, das neugierig macht, vielleicht sogar Wiedererkennungswert bietet. Vielleicht ist es dieser Charme des Bodenständigen, der das Buch durchweht, der Seite um Seite mit Spannung genießen läßt.