Rezension

Der Ex-Lagerhäftling als Ermittler in Tibet

Die Frau mit den grünen Augen - Eliot Pattison

Die Frau mit den grünen Augen
von Eliot Pattison

Bewertet mit 4 Sternen

Elliot Pattisons chinesischer Ermittler Shan ist seit mittlerweile fast 20 Jahren aktiv und wird im 9. Band der Reihe als einfacher Polizist in Yangkor/Tibet tätig. Im ersten Band war Shan, der in Peking gegen die falschen Leute ermittelt hatte, als Strafgefangener in einer Ermittlung zu Hilfe gerufen worden. Inzwischen lebt Shan bereits so lange in Tibet, dass er Tibetisch spricht und schreibt und eine Menge über die Kultur gelernt hat. Seine Sonderrolle als Han-Chinese, der die tibetische Religion und die lokalen Sitten achtet, dient Shans Gegenspieler Oberst Tan allein zur besseren Kontrolle seines ehemaligen Gefangenen, stellt Shan nüchtern fest. Tan hat Shan noch immer in der Hand; denn Shans Sohn ist zu Lagerhaft verurteilt worden. Sollte Shan nicht spuren, wird Sohn Ko das sehr direkt zu spüren bekommen.

Der kleine Ort hat etwas mehr als 400 Einwohner, so dass normalerweise kaum mehr passiert, als dass ein störrisches Yak aus dem Schlamm gerettet werden muss. Doch weil die chinesischen Behörden  auf dem Dach der Welt nach Belieben schalten und walten, ist es mit Shans idyllischem Alltag bald vorbei. Ein Gefangentransport macht im Ort halt und kurz darauf werden zufällig unter einer Grabplatte drei Leichen entdeckt, ein Lama, der schon hunderte von Jahren tot sein könnte, ein Soldat der Volksarmee, vor rund 50 Jahren getötet, und ein junger Ausländer, der gerade erst ums Leben gekommen ist. Der Soldat und der Ausländer sind mit identischer Methode getötet worden. Shan hört sich nun in seiner bewährten Art um, wie der Ausländer überhaupt von den Behörden unbemerkt hierher gelangt ist, was die Armee in den Bergen vor 50 Jahren unternahm und welcher Zusammenhang zwischen den Todesfällen bestehen könnte. Auch wenn Shan schon lange in Tibet lebt, hat er von den Bewohnern noch immer nicht alle Geschichten aus der Zeit der Zwangs-Annektierung Tibets erzählt bekommen. Er hört von einer Medizinschule im Ort, die vor seiner Zeit von einer mächtigen tibetischen Familie betrieben wurde, sowie von geheimen Dokumenten, die vor den chinesischen Besatzern verborgen gehalten werden und mit denen die Zerstörung tibetischer Heiligtümer zu beweisen wäre. Eine wichtige Rolle zur Lösung des Rätsels spielt Shans Fähigkeit, sich in den Bergen wie ein Einheimischer zu bewegen und sich dabei Wege und Gipfel bildlich vorzustellen. Landkarten gibt es nämlich nicht, weil sie von oppositionellen Tibetern zur Flucht genutzt werden könnten.

Erst als Shan sich klar macht, dass in den Bergen auch moderne Dämonen aktiv sind, denen man besser aus dem Weg geht, kann er diesen seltsamen Fall lösen.  Höchst  interessant in Elliot Pattersons Krimis ist jedes Mal, wie sich die Beziehung zwischen Tan und Shan weiterentwickelt und ob Shan seinen Werten wohl treu bleiben kann. Und weil bei Patterson stets der Weg das Ziel ist, vermittelt er  dabei zahlreiche Details über Tibet.

Leser sollten Shan wenigstens in einem beliebigen Band vorher begegnet sein, um seine ungewöhnliche Rolle zu nachvollziehen zu können als Kontaktperson zwischen einer unterdrückten Minderheit und deren Unterdrückern.

Die Reihe

Der fremde Tibeter (1991)
Das Auge von Tibet (2001)
Das tibetische Orakel (2002)
Der verlorene Sohn von Tibet (2004)
Der Berg der toten Tibeter (2007)
Der tibetische Verräter (2009)
Der tibetische Agent (2012)
Tibetisches Feuer (2014)
Die Frau mit den grünen Augen (2017)