Rezension

"Der Flug ist das Leben wert."

Halbschatten - Uwe Timm

Halbschatten
von Uwe Timm

Bewertet mit 4.5 Sternen

So lautet die Inschrift auf dem Grabstein der Marga von Etzdorf, die sich am 28. Mai 1933 mit nur 25 Jahren das Leben nahm.

Im Buch folgen wir einem Besucher an einem nasskalten Novembertag auf den Invalidenfriedhof in Berlin, einst von der Mauer durchzogen, verwaist und fast vergessen. Hier sprechen die Stimmen der Toten und erzählen ihre Version von den Vergeblichkeiten des Lebens. Unser Gast wandelt zwischen den Gräbern und horcht den Stimmen.

Es ist die Geschichte einer jungen Sportfliegerin, die Rekorden nachjagte und die Welt im Flug eroberte. Es ist aber auch die Geschichte einer Zeit, als Deutschland nach den Versailler Verträgen wieder erstarkte und sich anschickte, allen zu zeigen, dass die Menschen wieder Mut fassten und Hunger auf die Welt bekamen. Marga aber stand der Kopf in den Wolken, ihre knallgelbe Junkers nannte sie "Kiek in die Welt". Was also trieb die junge Frau in den Tod?

Das Gemurmel der Toten ist vielstimmig, Timm gönnt dem Wechsel je eine Leerzeile und dann rutscht man unversehens in andere Zeiten, andere Schlachten, verlorene Kriege. Die Verstorbenen gehören vielen Generationen an, doch scheint ihnen eins gemeinsam, sie rufen den Lebenden zu, dass sich alles wiederholt.

Es ist auch ein Buch vom Fliegen, von der Freiheit, von der unerfüllten Liebe und dem Leben, das soviele falsche Entscheidungen bereithält. Könnte man tatsächlich mit den Toten reden, würde uns das vor unseren Fehlern bewahren?

Timms Leichtigkeit, mit der er tausend Geschichten unter einen Hut bringt, wie er mit wenigen Strichen ganze Landschaften und mit gezielten Worten Charakterbilder entwirft, sucht seinesgleichen. Auch möchte man gern glauben, dass Margas Gründe für den Freitod jenseits von Gesetzesbruch und Scham liegen. Ein geschichtlicher, vielschichtiger und kurzweiliger Roman.