Rezension

Der Junge, der nicht hassen wollte ♦ Shlomo Graber | Rezension

Der Junge, der nicht hassen wollte - Shlomo Graber

Der Junge, der nicht hassen wollte
von Shlomo Graber

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch hat mich tief berührt, erschüttert und wieder aufgebaut.

Dieses Buch ist ein wichtiges Zeugnis der Grausamkeiten, welche von den Opfern der Nazis ertragen werden mussten. Meine Wut auf diese Zeit, die ich nicht ändern kann, ist maßlos. Deswegen war ich von den Worten Shlomo Grabers auch sehr überrascht. Denn in diesem Buch fand ich weder Wut, noch Hass. Dafür aber ganz viel Vergebung.

Meinung

Ich habe schon einige Zeitzeugenberichte gelesen und gesehen. Immer wieder beeindruckt mich am meisten, wie die Überlebenden mit den traumatischen Ereignissen umgehen. Aufgrund des Titels war ich sehr neugierig auf das Buch, denn ich stelle es mir verdammt schwer vor, als Überlebender des Holocaust nicht mit Hass im Herzen durch das Leben zu gehen. Dies ist keine Rezension im herkömmlichen Sinne, denn das wäre anmaßend. Eine Sternebewertung soll hier nur zur Anregung dienen, dass „Der Junge, der nicht hassen wollte“ gelesen werden sollte.

Dieses Buch hat mich tief berührt, erschüttert und wieder aufgebaut.

Die frühen Jahre
Shlomo Graber ist ein bemerkenswerter Mensch.
In der ersten Hälfte seines Buches „Der Junge, der nicht hassen wollte“ beschreibt er seine sehr behütete Kindheit. Er spricht von seinem lebenserfahrenen und offenen Großvater, seinen Geschwistern und seiner liebevollen Mutter. Das Verhältnis zu seinem Vater ist allerdings weniger innig.
 

Mutter sorgte mit Hingabe für uns Kinder. Mich als Erstgeborenen hätschelte sie ganz besonders, denn sie wollte mich schnell erwachsen werden sehen. All ihr Hoffen und Streben richtete sich darauf, eine große, weitverzweigte Familie entstehen zu sehen, um sich dereinst in Israel an ihren Enkeln zu erfreuen.
‒ S. 49, „Der Junge, der nicht hassen wollte“

Sein Erzählstil macht sehr schnell klar, dass Shlomo Graber eine glückliche Kindheit hatte und wie stark ihn seine Familie geprägt hat.
Doch als Shlomo 14 Jahre alt ist, werden er und seine Familie zum ersten Mal deportiert und damit nimmt seine Kindheit ein unvermitteltes Ende.

Überleben ist alles
Ab da an erlebt Shlomo Graber Fürchterliches. Der zweite Teil des Buches spricht von Unfassbarem.
Aus der Liebe und den weisen Worten seiner Mutter zieht er einen unbändigen Lebenswillen, dem es wohl zu verdanken ist, dass er über die nächsten Jahre seiner Jugend drei (3!) Konzentrationslager überleben wird.
 

Aber Mutter hielt mich immer noch fest umarmt, küsste mich hastig auf die Stirn und sagte: »Sei stark und lass keinen Hass in dein Herz … Liebe ist stärker als Hass, mein Sohn … vergiss das nie!«
‒ S. 115, „Der Junge, der nicht hassen wollte“

Beim Lesen vieler seiner Erinnerungen wird das Herz schwer. Manche sind so grausam, dass er sie nicht niederschreiben will und kann. Andere Erinnerungen erzählt er so eindringlich, dass der Atem ins Stocken gerät und ich einfach nur fassungslos auf die Zeilen vor mir starrte. Die grausame Gefangenschaft konnte er durch seinen unverrückbaren Glauben an sich selbst, die Nähe zu seinem Vater und einer Nächstenliebe, die seines Gleichen suchte, überstehen.
 

Dass meine Mutter, meine Geschwister, meine Großmutter und meine Cousins kaum eine Stunde später tot sein würden ‒ nein, dass kann ich bis heute noch nicht glauben und fassen.
‒ S. 128, „Der Junge, der nicht hassen wollte“

Das Buch endet mit der Befreiung von Shlomo und seinem Vater nach vier (4!) schrecklichen Jahren. Mit seiner schlichten Sprache, die teils ein wenig zurückhaltend wirkt, schafft er es nachdrücklich das Unfassbare zu erzählen. Mit den letzten beiden Zitaten möchte ich verdeutlichen, wie groß sein Glaube an das Gute ist, und welch enorme Nächstenliebe er auch direkt nach der Befreiung noch in sich hatte.

Abschließende Zitate
 

Das Volk der »Dichter und Denker«, dessen Literatur bis ins Mittelalter zurückreicht […], dieses Volk der Hochkultur […], die der Welt wahre Wunderwerke an geschriebenen Texten hinterlassen haben, dieselbe Nation, die einige der einflussreichsten Philosophen […] hervorbrachte, dieses großartige Land, das unter vielem mehr auch einige der größten Komponisten […] sich zugehörig nennen durfte ‒ dasselbe Volk, dieselbe Nation, wurde von einem Bazillus des Bösen angesteckt. […] Und als hätte es eine »Kulturnation Deutschland« nie gegeben, tauschte man die Feder mit dem Gewehr, verbrannte Bücher, anstatt diese zu lesen, und intonierte anstelle wundervoller Sonette und Symphonien die Kriegstrommeln. […] Wenn ich ganz ehrlich bin, so kann ich diesen Umstand, dass Menschen sich dermaßen verändern können, bis heute nicht verstehen.
‒ S. 81-82, „Der Junge, der nicht hassen wollte“

 

»Wisst ihr was? Wenn ich diesem Kind kein Brot gebe, bin ich nicht besser als Hitler, […]. Ich fühle mich verpflichtet, das zu tun. Auch ihr wisst doch alle, was Hunger ist. Wollt ihr denn Rache nehmen an dieser unschuldigen Frau und dem armen Kind? Wollt ihr diese Frau und ihr Kind hassen, nur weil sie Deutsche sind? Wollt ihr sein wie er?«
‒ S. 220, „Der Junge, der nicht hassen wollte“

Fazit

Shlomo Grabers „Der Junge, der nicht hassen wollte“ sollte zur Pflichtlektüre in den Schulen werden. Diese wahre Geschichte schildert in schlichter Sprache, aber mit viel Emotion, was die Opfer des Nationalsozialismus erleben mussten und wie es möglich ist, trotz dieser erlebten Gräuel, den Hass nicht im Herzen zu tragen.

Ich möchte wirklich jeder einzelnen Person dieses Buch ans Herz legen.