Rezension

Der Ratgeber nimmt Opfer an die Hand und zeigt anhand von Erfahrungsberichten das man – Nicht allein – ist. Sehr Hilfreich für Opfer in jedem Stadium mit vielen Tipps und viel Mitgefühl.

Nicht allein. Unterstützung von Betroffenen sexueller Gewalt -

Nicht allein. Unterstützung von Betroffenen sexueller Gewalt
von Christine Striebel

Bewertet mit 4 Sternen

Dieses Buch kann eine große Hilfe für Betroffene oder Kontaktpersonen von Betroffenen sein. Es ist sehr angenehm geschrieben und für jeden verständlich. Es gibt hin und wieder auch Fußnoten, doch die werden auch auf der gleichen Seite unten beschrieben. Für Menschen, die nur ein bestimmtes Kapitel aufschlagen möchten, um Triggerpunkte zu meiden, gibt es das Inhaltsverzeichnis. So kann man auch immer wieder nachschlagen, sollte man etwas vergessen haben oder wenn man etwas schnell bearbeitet möchte, ohne erneut das ganze Buch zu lesen. Das Buch ist in kleinen Blöcken geschrieben, was das lesen für mich sehr leicht machte. So kann man zwischendrin eine kleine Pause machen, wenn einem alles über den Kopf wächst. Die einzelnen Bereiche werde immer wieder von Erfahrungsberichten begleitet, dadurch sieht man, man ist Nicht allein. Das baut in gewisser Weise auf, wenn man denkt „Warum immer ich“. Nicht alle Berichte versteht man zu 100%, aber das müssen wir auch nicht. Jedes Opfer hat so viel geschrieben, wie es preisgeben wollte und konnte so vielleicht einen Schritt weiter gehen.

Die Opferberichte sind von Opfern, die gerade anfangen zu heilen, bis zu Opfern, die sich geheilt haben. Ich schreibe bewusst „sich geheilt haben“, da ich der Meinung bin jeder muss sich selber helfen. Natürlich schließe ich da keinen Therapeuten aus. Diese sind meistens sogar sehr wichtig und von Nöten. Jedoch muss das Opfer da selber durch und hat sich durch die Hilfe selber geheilt. Bei einem Therapiebeginn geht es einem meist schlimmer, bevor es einem besser geht. Das liegt nicht daran, dass die Therapie nicht wirkt, wie viele in dem Moment vielleicht denken. Im Gegenteil. Man lässt den Schmerz und die Erinnerungen zu, was es schwer macht. Alles stürzt auf einen ein. Doch erst dadurch kann man auch den Weg der Heilung eingehen und das erlebte verarbeiten, damit es einem besser geht. Erinnerungen fragen nicht danach, wann es dir passt, sie zu treffen. Sie kommen einfach vorbei.

 

Wir müssen viel Geduld für die Heilung haben und vor allem mit uns selbst. Die Täter kommen mit viel zu leichten Strafen davon. Doch jemand, der sexuell belästigt oder missbraucht wurde bekommt oft lebenslänglich. Wir müssen verarbeiten, was andere uns angetan haben. So ein Verbrechen stört die gesamte Sexualität und Entwicklung. Ich bin der Meinung, dass hier das Rechtssystem völlig versagt. Wenn die Täter weniger Strafe bekommen, als jemand, der eine CD kopiert und das Opfer hingegen lebenslänglich, kann ich tatsächlich verstehen, wenn jemand Selbstjustiz verübt. Ich möchte hier natürlich keinen anstiften. Würde dieser jemand, der mich als Jugendliche belästigt hat meine Nichten anrühren und sei es nur Hände schütteln, ich weiß nicht, ob er das überleben würde. Selbst, wenn ein Täter selber ein mal Opfer war, empfinde ich kein Mitleid für ihn. Schließlich hat jeder Mensch die Wahl, was er macht.

 

In dem Buch sind viele Schreibfehler und auch Satzfehler, wie z.b. auf S. 210 „ Denke dabei daran, dass Betroffene nicht immer alles, was sie empfinden und denken in Worte fassen können, da sie zum Tatzeitpunkt oft noch keine Worte für das hatte, was mit ihnen angetan wurde.“ Und auf S. 81 stimmen die Zeitangaben oder das Alter des Opfers nicht. Doch diese Fehler schaden dem Inhalt des Buches nicht gravierend.

 

Kritisch finde ich zwei Punkte. Zum einen die Übung „Von wem hast du das Verhalten übernommen?“ Wenn jemand seinem Peiniger schreit, um vieles loszuwerden, kann ich das voll und ganz verstehen. Aber in diesem Fall „unterwürfig sein“ der Mutter vorzuwerfen, sie habe es an einen weitergegeben finde ich sehr kritisch. Das war sicher nicht der Wille der Mutter. Soll sie sich noch eine Last aufbürden? Sie hat sich das sicher auch nicht ausgesucht unterwürfig zu sein. Vielleicht hat die Mutter selber damit zu kämpfen. Wenn man es als Geheimen (nur für sich) Brief schreiben würde, könnte ich dies aber wiederum verstehen. So kann man es abladen. Oder man fängt beim Unterwerfer an. Das wäre eine andere Möglichkeit.

Einerseits soll ich Mitleid mit dem Täter haben, weil er vielleicht Opfer war, andererseits soll ich meiner Mutter meine Unterwürfigkeit zurückgeben, die ich von ihr habe, obwohl sie auch ein Opfer war.

Als zweites finde ich es kritisch das vieles auf Vertrauenspersonen abgewälzt wird. Wenn Opfer sich ihnen anvertrauen ist das super, aber sie können die Verantwortung nicht abgeben oder davon ausgehen, dass andere sie retten oder Bücher über das Thema liest. Natürlich könnte diese Vertrauensperson auch „Nein“ sagen, wenn es ihnen Zuviel wird. Aber somit bringt man andere vielleicht in Verlegenheit, denn sie sollen das machen, was viele Opfer nicht können und gerade lernen. Vielleicht können die Vertrauenspersonen auch schlecht „Nein“ sagen oder haben das gleiche Problem und gehen noch nicht offen damit um. Hier sollte das Opfer ein gesundes Mittelmaß finden und Eigenverantwortung zeigen. Offenheit und ein Miteinander wären hier super. Ich gehe offen mit meiner erlebten Vergangenheit um und mit den Panikattacken etc. Dies beruhigt mich innerlich und die anderen wissen, warum ich mich in manchen Situationen verhalte, wie ich mich verhalte.

 

Mit diesem Buch wird man sanft an die Hand genommen. Natürlich ersetzt es keine Therapie, aber es ist ein super Anfang mit vielen hilfreichen Tipps, Webseiten und Buchvorschlägen für verschiedene Bereiche der Aufarbeitung. Für jemanden, der vielleicht noch nicht so weit ist, sich zu öffnen oder eine Therapie zu beginnen, könnte dies sehr aufbauend, anleitend und kraft gebend sein. Wichtig ist, dass man sich selber auch viel Gutes tut. Ich bin wirklich begeistert von der Schreibweise. Ich selber habe viel aus diesem Buch schon in Kliniken gelernt und ich merke immer wieder, wo ich mehr machen kann und wo ich vielleicht schon sehr gut drin bin.