Rezension

Der Schrecken eines Massakers

Menschenwerk - Han Kang

Menschenwerk
von Han Kang

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die koreanische Schriftstellerin Han Kang sieht hin. Sieht genau hin. Beschreibt, was geschehen ist, als in der koreanischen Stadt Gwangju vom 18. bis 27. Mai 1980 Studentenproteste in einem Massaker niedergeschlagen wurden. Dabei geht es Han Kang nicht um das Warum und Wie. Sie konzentriert sich in "Menschenwerk" auf das Massaker selbst. Beschreibt, dass es weh tut. Eine Orgie menschlicher Gewalt. In ihrem Epilog schreibt die Autorin, dem Militär sei es nicht allein darum gegangen, die Lage unter Kontrolle zu bringen: "Vor aller Augen mordeten sie skrupellos und ohne zu zögern". 

Han Kang nun will mit ihrem Buch "Menschenwerk" das damit verbundene Leid ins Rampenlicht setzen. Sie beschreibt, wie Leichen eingesammelt werden, vor sich hinmodern, verbrannt werden, wie sie zur Identifizierung durch die Angehörigen aufgebahrt werden, bis der Platz nicht mehr ausreicht. Sie beschreibt weniger die Gewalt selbst als vielmehr die Wirkung der Gewalt auf die Menschen. 

Im ersten Teil des Romans stehen die Opfer der Gewalt im Vordergrund. Dazu nutzt Han Kang einen klugen Kunstgriff: sie lässt unter anderem die Seele eines Toten berichten, wie sie sich von ihrem irdischen Leben löst und sich auf die Suche nach anderen Seelen macht. 

Im zweiten Teil sind es die Überlebenden, die in den Fokus rücken. Die gefühlte Schande, die es ihnen verbietet, über das zu sprechen, was sie erlebt haben. Die verzweifelte Suche nach den vermissten Söhnen und Töchtern. 

Ausgehend von einem Studenten, der niedergeschossen wurde, lässt die Autorin die Erzählperspektiven immer wieder wechseln bis hin zur Seele eines Verstorbenen als Erzählstimme. Auch die Erzählzeit wechselt. Auf drastische Bilder verzichtet Han Kang in ihren Beschreibungen nicht - "Menschenwerk" fasst vielmehr in die Wunde, Gewalt als "Menschenwerk", als fassungslose Frage, wozu Menschen in der Lage sind. An manchen Stellen des Romans braucht es deshalb schon starke Nerven, um weiterzulesen. 

In "Menschenwerk" gibt es keine Geschichte, die erzählt wird, keine Handlung, keine Helden, es bleibt nur der Schrecken.