Rezension

Der Schreibstil ist schwierig, die Story aber sehr gut...

Herrliche Zeiten - Norbert Leithold

Herrliche Zeiten
von Norbert Leithold

Bewertet mit 3.5 Sternen

Die Geschichte:
Zunächst lernen wir die Familie Kypscholl kennen und einige Personen aus dem Bekanntenkreis. Der 2. Weltkrieg steht vor der Tür und Hermann Kypscholl unterstützt die Pläne und ist bereit, seinen Beitrag zu leisten – und damit nebenbei gut zu verdienen. Auch die Tochter Anna findet ihren Platz und setzt sich begeistert für die Errichtung von sog. “Lebensbornheimen” ein, in denen die arische Rasse herangezüchtet werden soll.
Nur Otto, der seinen Vater Hermann leidenschaftlich hasst, will lieber Maler werden und landet schließlich gezwungenermaßen in der Wehrmacht. Doch dort macht er dank seines Kunstverstandes überraschend schnell Karriere und lernt sogar sein Idol Göring persönlich kennen.
Wir begleiten zunächst Anna und Otto auf ihrem Weg, erleben mit ihnen diverse Höhen und Tiefen im Krieg, persönliche Schicksalsschläge und die Bedeutung wahrer Freundschaften oder Gefälligkeiten, die lebensrettend sein können.
Später dreht sich die Geschichte dann eher um deren Kinder: Regina ist die Tochter von Anna, Otto hat einen Sohn namens Karl, der ihn ebenso leidenschaftlich hasst wie Otto einst seinen eigenen Vater – so schließt sich der Kreis, aber das ist nur ein kleine Parallele von vielen, die Eindruck hinterlassen.

Meine Meinung:
Der Schreibstil hat mir zunächst einiges an Konzentration und Durchhaltevermögen abverlangt, erst ab der Hälfte des Buches hatte ich mich daran gewöhnt und konnte das Gelesene richtig genießen. Es gibt in diesen Sätzen keine hervorgehobene wörtliche Rede, alles wirkt irgendwie gleichförmig ohne besondere Höhen oder Tiefen. Dramatische Szenen, wie ein tödlicher Autounfall, folgen ansatzlos auf Banalitäten, man wird nicht vorgewarnt – wie im richtigen Leben.

“Als Oberscharführer Otto Kypscholl im Frühjahr 45 in die elterliche Villa am Wannsee zurückkehrt, fragt er als Erstes seine Mutter, Mein Gott, Junge, da bist du, nach Elias Finkel, dann nach dem Totenhochtreiber.”
Zitat Seite 203

Die Geschichte ist temporeich, die Schauplätze wechseln manchmal fast ansatzlos und auch größere Zeitsprünge erfolgen ohne Ankündigung.
Die Sprache ist deutlich und den jeweiligen Charakteren angepasst, zuweilen sehr direkt und manchmal etwas vulgär, aber immer passend.
Unter den Protagonisten gibt es nicht viele, die man wirklich uneingeschränkt sympathisch finden kann. Alle Figuren haben ihre Ecken und Kanten, handeln oft egoistisch und manche sind wohl auch als ernsthaft psychisch gestört zu bezeichnen. Ihre Gefühlswelt wird nicht bewusst beleuchtet, es sind eher ihre Taten, die sie lebendig erscheinen lassen.
Norbert Leithold hat für dieses Buch intensiv recherchiert und vermittelt dem Leser in unterhaltsamer Form auch einiges an geschichtlichem Wissen, das sehr interessant und teils erschreckend ist.
Er zeichnet ein lebendiges und realistisches Bild einer Familiengeschichte, die fesselnd und vielschichtig ist.

Nachdem ich mich an den Schreibstil gewöhnt hatte, hat mich das Buch richtig in seinen Bann gezogen. Speziell die zweite Hälfte hat mir gefallen. Es war schön zu lesen, wie sich die Lebenswege verschiedener Personen immer wieder kreuzen, wie alte Beziehungen sich auf die Zukunft auswirken.

Am Ende erwartet den Leser ein sehr temporeiches Finale, das mir persönlich leider etwas zu abrupt endete. Ich hätte mir noch einen kurzen Epilog gewünscht, um zu erfahren, was aus den Protagonisten wurde.

Fazit:
Trotz des gewöhnungsbedürftigen Schreibstils ist das Buch fesselnd, facettenreich und interessant. Es überzeugt durch ungewöhnliche Charaktere und eine grandiose, klug durchdachte Story.

Wertung:
3,5 von 5 Sternen