Rezension

Der traurige Zitronenkuchen :-(

Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen - Aimee Bender

Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen
von Aimee Bender

Bewertet mit 4.5 Sternen

"Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen" umfasst 300 Seiten und gliedert sich in vier Teile, die alle einen Titel tragen. Die Teile sind wiederum in insgesamt 47 Kapitel untergliedert, die mit durchschnittlich sechs Seiten nicht sonderlich umfangreich sind. Dennoch sind sie zum bequemeren Lesen zusätzlich in Abschnitte unterteilt. Überschrieben sind die Kapitel nur mit ihrer jeweiligen Kapitelnummer.

Geschrieben ist das Buch aus der Sicht der Ich-Erzählerin Rose in der Vergangenheitsform.

Handlungsort des Romans ist Los Angeles, USA.

Das Cover ist zwar schlicht, dafür aber sehr passend sowohl zum Titel als auch zum Inhalt des Buches

Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel "The Particular Sadness of Lemon Cake" bei Doubleday, Random House, New York.

Meine Meinung zum Buch:
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Im Alter von neun Jahren bemerkt Rose zum ersten Mal, dass sie in dem frischgebackenen Zitronenkuchen ihrer Mutter etwas Merkwürdiges schmeckt. Während sie dies erst nur als eine gewisse Leere bezeichnen kann, identifiziert sie diesen Geschmack später als den von Traurigkeit. Und schnell merkt sie, dass sie in jedem Nahrungsmittel einen besonderen Geschmack aufspüren kann. Den von Trauer, Liebe, Fröhlichkeit, Wut. Jede Gefühlsregung des Koches überträgt sich auch auf die Speise. Und so nimmt Rose Emotionen war, die ihre Mitmenschen doch so verzweifelt zu verbergen versuchen.

Weil die Schulkrankenschwester nichts von Roses Fähigkeit wissen will, verheimlicht Rose ihre Gabe vor ihrer Familie. Allein dem besten Freund ihrer Bruders vertraut sie sich an. Dieser wird in Roses späterem Leben einen enorm wichtigen Bezugspunkt darstellen.

Schnell wächst Rose ihre Gabe über den Kopf. Sie hält es nicht aus, ständig die Verzweiflung anderer spüren zu müssen. So sucht sie begierig nach Lebensmitteln, die diese besonderen Geschmäcker nicht enthalten und landet schließlich bei Chips und Burgern. Denn die schmecken nur nach Fabrik.

Erst im Alter von 22 Jahren gelingt es Rose, ihre Gabe zum Beruf zu machen. In diesem Alter hält die Ich-Erzählerin Rückschau auf ihr Leben und besonders auf Erlebnisse im Alter von 9, 12 und 17 Jahren.

"Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen" ist auf den ersten Blick ein Roman über ein Mädchen mit einer besonderen Begabung. Doch schnell wird deutlich, dass das Buch noch weiter geht. Es ist vielmehr eine Familienstudie, in deren Mittelpunkt das junge Mädchen und später die junge Frau Rose steht. Rose, die ihre einzig verbliebene Großmutter nie kennen gelernt hat, da diese nicht gern verreist und nicht gern Besuch empfängt; die aber aus Washington regelmäßig Pakete mit fragwürdigem Inhalt (Batterien, Stecker von einem Paar Ohrringe, eine alte Einkaufsliste) verschickt. Rose, deren Vater sich verzweifelt an die Vergangenheit klammert, als er noch glücklich mit seiner Frau war. Rose, deren Bruder hochintelligent ist, sich aber als Einzelgänger in seinem Zimmer versteckt. Rose, deren Mutter so furchtbar einsam ist, aber es niemandem zeigt.

Doch das Buch ist nicht nur ein Familienroman, sondern auch ein Roman über Freundschaft, Vertrauen, Glaube und Entwicklung. Roses Gabe ist nicht die Einzige, auf die man sich als Leser einlassen können muss. Im Verlauf des Buches wird sich zeigen, dass auch andere Familienmitglieder über eine spezielle Begabung verfügen. Lässt sich so erklären, dass Roses Bruder Joseph regelmäßig urplötzlich aus seinem Zimmer verschwindet, um Minuten später völlig erschöpft und ausgelaugt zurückzukehren? Wohin verschwindet er? Und warum nimmt ihn dies so sehr mit?

Rose ist ein sehr intelligenter Charakter, mit dem sich der Leser schnell und leicht anfreunden kann. Ihr Gefühlsleben wird sehr greifbar und authentisch dargestellt und auch ihre besondere Gabe wird nachvollziehbar beschrieben. Besonders gut gelingt es der Autorin, zu beschreiben, welche Last es für Rose darstellt, immer mit den Gefühlen anderer konfrontiert zu werden. Besonders die Gefühle ihrer Mutter, deren Mahlzeiten sie täglich zu sich nimmt, machen Rose zu schaffen. Denn während Roses Mutter nach außen fröhlich und gelassen erscheint, weiß Rose doch, dass es ihr nicht gut geht.

Alle anderen Charaktere werden nicht so umfangreich beleuchtet, was aber größtenteils daran liegt, dass auf Rose als Ich-Erzählerin der Schwerpunkt liegt. Dennoch sind alle Charaktere bildhaft beschrieben und verhalten sich ihrer Rolle entsprechend authentisch.

Der Stil der Autorin ist sehr angenehm, stellenweise fast poetisch. Aimee Bender wahrt ein gewisses Niveau und stellt einen besonderen Anspruch an den Leser, denn dieser muss interpretieren und stellenweise zwischen den Zeilen lesen. Dennoch ist das Buch nicht zu anspruchsvoll, sondern liest sich flüssig.
Besonders ist, dass die wörtliche Rede nicht durch Anführungszeichen verdeutlicht wird. Hier bedarf es aufmerksamen Lesens, um den Unterschied zwischen wörtlicher Rede und Darstellungen der Ich-Erzählerin zu erkennen.

Auf den letzten 100 Seiten wird das Buch unerwartet sehr spannend und diese Spannung wird bis zum Ende des Buches konstant aufrecht erhalten. Besonders auf diesen letzten Seiten ist die Kunst des Lesers, zwischen den Zeilen zu lesen, gefragt, denn hier beschränkt sich die Autorin verstärkt allein auf Andeutungen. Eventuell will sie dem Leser somit die Möglichkeit zu unterschiedlichen Interpretationen bieten. Obwohl das Ende ein teilweise offenes Ende ist, ist es doch zufriedenstellend und lässt den Leser das Buch versöhnt zur Seite legen.

Mein Fazit:
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Ein außergewöhnlicher Roman über ein außergewöhnliches Talent einer außergewöhnlichen Protagonistin.