Rezension

Des Guten zu viel...

Baudolino - Umberto Eco

Baudolino
von Umberto Eco

Bewertet mit 2.5 Sternen

Wir befinden uns im 12. Jahrhundert, zur Zeit der Kreuzzüge. Baudolino, ein gewitzter Bauernsohn aus dem Piemont, wird Adoptivsohn des Kaisers Friedrich I. Barbarossa. Den Kopf voller Flausen, Phantasien und Lügen, lenken seine irrwitzigen Ideen von nun an den Lauf der Weltgeschichte. Von den Liebesbriefen an die Kaiserin, den undurchsichtigen Machenschaften bei der Belagerung Alessandrias und dem rätselhaften Tod Barbarossas gar nicht zu reden ...

Konstantinopel brennt! Die prachtvolle Hauptstadt des Byzantinischen Reiches - erobert, geplündert und in Flammen gesetzt von den Rittern des vierten Kreuzzuges. Doch einer von ihnen, ein gewisser Baudolino aus Alessandria, erzählt uns seine unglaublichen Abenteuer auf der Suche nach den Mördern des Kaisers Freidrich Barbarossa.
Nach dem riesigen Erfolg in Italien ist dies Umberto Ecos neuer Roman aus dem Mittelalter, ein phantastisches, überraschendes, bizarres und ungeheuer unterhaltsames Epos aus einer faszinierenden Epoche zwischen Abend- und Morgenland.

Umberto Eco kehrt mit diesem Roman zurück ins Mittelalter, aber nicht ins späte seines Welterfolgs "Der Name der Rose", sondern diesmal ins Hochmittelalter des berühmten Kaisers Friedrich Barbarossa.
Baudolino, der kleine Bauer aus Alessandria im Piemont (wo Jahrhunderte später auch ein gewisser Umberto Eco geboren wurde), voll von phantastischen Ideen und unerschöpflicher Fabulierkunst, führt uns durch ein historisches Panorama von beeindruckender Breite. Wie er 1154 als Dreizehnjähriger Barbarossa begegnet, von ihm adoptiert wird, mit ihm zur Kaiserkrönung nach Rom und endlich auf den großen Kreuzzug ins Heilige Land geht, immer auf der Suche nach dem mythischen Reich des Priesterkönigs Johannes im fernsten Orient. Alles hat Baudolino miterlebt, doch ein Geheimnis kennt nur er ganz allein: Barbarossa, der angeblich im Fluss ertrank, ist mysteriöserweise bereits in der Nacht zuvor in einer geheimnisvollen Burg, in seinem fest verschlossenen und gut bewachten Schlafzimmer, ums Leben gekommen, und Baudolino ahnt, wer der Mörder sein könnte...

"Baudolino" ist über weite Strecken ganz in der Tradition der Schelmenromane dem puren Erzählen und der Lust am ausufernden Fabulieren verhaftet. Das ist zwar teilweise unterhaltsam, jedoch hinterlassen die sehr detaillierten und adjektivstrotzenden Beschreibungen ferner Länder, unbekannter Fabelwesen, menschlicher und menschenähnlicher Völker und theologisch-philosophischer Auseinandersetzungen oft ein unbestimmtes Gefühl der Substanzlosigkeit. Zeitweise drängt sich der Eindruck auf, dass es Eco vor allem darum geht, seine eigene Belesenheit und Gelehrsamkeit herauszustellen - und dem muss sich alles andere unterordnen. Sowohl die Handlung als auch die Figuren, die Atmosphäre und selbst die Gattung des Schelmenromans scheinen nur gewählt, um möglichst viele Bereiche, in denen Eco seine Gelehrsamkeit vorführen möchte, beliebig anschneiden und ohne inneren Zusammenhang thematisieren zu können, ohne dabei einem inhaltlich stichhaltigen Konzept verpflichtet zu sein.

Anfangs ist es durchaus interessant zu erfahren, welche Weltbilder zur Zeit Baudolinos herrschten, welche politisch-kirchlichen Verstrickungen und welche Moralvorstellungen es gab. Amüsant zu lesen sind die Abschnitte, wo Ecos fast schon despektierliche Art der Kirche gegenüber durchblitzt. Mal eben eine Heiligsprechung, weil man sich davon politische Vorteile erhofft oder überraschende "Erkenntnisse", wie und wo Reliquien entstehen und in Umlauf gebracht werden. Ich wollte schon immer wissen, wie die drei Weisen aus dem Morgenland eigentlich in den Kölner Dom gelangt sind, aber das ist dann doch wohl der Geschichts-Schreibung zu viel. - Oder?
Eco macht sehr deutlich, auf welcher Basis damals (?) Politik und Religion funktionierten: Lügen, Intrigen, Zweckbündnisse, Verleumdungen, Machtkämpfe, Kriege... Insgesamt ist Eco jedoch einmal mehr überaus detailverliebt. Stellenweise viel zu sehr für meinen Geschmack... Viele Aufzählungen sind einfach nur einlullend - es gibt Sätze, die ziehen sich über 1 1/2 Seiten (!), und wenn der gefühlt 100. Angriff auf eine Stadt geschildert wird, kann man fast nur noch abschalten... Dabei geht dann fast auch der leise Witz Ecos unter, wenn er z.B. schreibt: "Aber alles, was in diesem Brief steht, ist so wahr wie das Evangelium." - tja, dann ist wohl auch das erstunken und erlogen...

Bewundernswert ist es ja schon, wie bewandert Eco mit den Gegebenheiten des Mittelalters ist und über wie viel Detailwissen er verfügt. Diese Mischung aus Lügen, Mythen, Geschichte und Politik erschließt sich in der Vollkommenheit aber wohl eher wahren Kennern des Fachs - wie Eco eben. Ich fühlte mich damit teilweise - trotz Unterstützung z.B. durch Wikipedia - etwas überfordert.
Vor allem aber sind es die ständig wiederkehrenden Aufzählungen und Ecos Detailverliebtheit, die mir das Lesen häufig erschwert haben und mich regelrecht ermüdeten...

Ausschweifend, langatmig, detailverliebt, ermüdend. Das ist leider das Fazit am Ende der über 600 engbeschriebenen Seiten.
Eco mag ein hervorragender Essayist sein - als Roman ist diese Kunst jedoch nicht zu empfehlen. Hier war es echt des Guten zu viel!

© Parden

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Und hier wieder die Version der Rezension in unserem Blog:

http://www.litterae-artesque.blogspot.de/2013/08/eco-umberto-baudolino.html