Rezension

Die Absurdität des Alltags

Stories -

Stories
von Joy Williams

Bewertet mit 4 Sternen

Die Geschichten der im deutschsprachigen Raum neu entdeckten Autorin Joy Williams, die aber mit einem Alter von fast 80 Jahren schon seit Jahrzehnten in den USA Geschichten veröffentlicht, drehen sich allesamt um meist höchst absurde Szenen im Alltag von amerikanischen Menschen.

Die erste Geschichte der hier versammelten insgesamt 13 Erzählungen stellt dabei noch die eingängigste dar. Ein Prediger muss sich während der schweren Erkrankung seiner Frau nicht nur um diese im Krankenhaus, sondern auch noch um seine erst sechsmonatige Enkeltochter und den Hund der eigenen Tochter kümmern. Die im Deutschen mit „Liebe“ überschriebene und im Englischen mit „Taking Care“ betitelte Kurzgeschichte beleuchtet nach klassischem Kurzgeschichtenmuster kurz das Leben eines Mannes, der sich unversehens in einer ungewöhnlich belastenden Situationen wiederfindet und damit zurechtkommen muss. Ganz anders sieht es in der Geschichte „Kongress“ aus, in welcher eine Frau die Pflege ihres Mannes dessen Verehrer in die Hände gibt und selbst durch einen Roadtrip in einem obskuren Museum für präparierte Tierkadavar landet, in welches tagtäglich eine Unmenge an Besucher:innen aus dem ganzen Land pilgert, um den Präparator einmal persönlich sprechen zu können.

Immer wieder steigen wir unvermittelt ein in das scheinbar alltägliche Leben amerikanischer Bürger:innen, meist in der (unteren) Mittelschicht angesiedelt. Wenn man einmal den Erzählstil von Williams erkennt, wartet man dann schon auf den Einzug der Skurrilität in diese Blitzlichter des Lebens. Das ist sehr speziell und mag Leser:innen, die sich an der ersten Geschichte dieser Sammlung orientieren, zunehmend abschrecken. Wer jedoch Freude an klassischen amerikanischen Kurzgeschichten hat, die aber immer auch mit krudem Humor und Kuriositäten gespickt sind, wird diese Geschichtensammlung wirklich sehr mögen. Man kann sich immer wieder in die Welt, die nur auf den ersten Blick durchschnittlich erscheint, fallen lassen, muss gar nicht viel heruminterpretieren – kann man, muss man nicht – , sondern bekommt ein Feuerwerk an kreativen Ideen für Plotentwicklungen geliefert. Was für die Figuren meist vollkommen "normal" zu sein scheint, ist von außen betrachtet mitunter höchst merkwürdig. Das stellt auch den Clou jeder Geschichte dar. Während des Lesens entdeckt man die Skurrilität. Was eher untypisch für Kurzgeschichten ist: Die enden kaum mit einem Knall. Meist liegt der Clou am Ende einer Kurzgeschichte versteckt, Joy Williams lässt ihre Geschichten meist eher ruhig "auslaufen". Eins haben die Geschichten Williams jedoch definitiv gemein: Es tauchen immer wieder kuriose Momente auf, in denen – mal mehr, mal weniger stark – Tiere eine Rolle spielen. Achtet man darauf, wird man immer fündig.

Im Großen und Ganzen gefallen mir diese Art von Geschichten, ich lese sie gern, mag es Kleinigkeiten zu entdecken und mich von den Absurditäten überraschen zu lassen. Wie fast immer bei Kurzgeschichtensammlungen, gefällt nicht jede Geschichte gleich gut, nicht zu jeder findet man einen Zugang. Hier hat mir aber der überwiegende Teil sehr gut gefallen, weshalb ich auf solide 4 Sterne komme.

Joy Williams, eine späte Entdeckung, die aber weitere Aufmerksamkeit verdient.

4/5 Sterne