Rezension

Die unschönen Seiten des Lebens.

Stories -

Stories
von Joy Williams

Bewertet mit 4 Sternen

Ich mochte Kurzgeschichten - dann eine Zeitlang gar nicht - jetzt mag ich sie wieder!

Joy Williams, Shortwriterin, geb. 1944 in den USA, ist hierzulande kaum bekannt. Ihre Shortstories sind jedoch in den Staaten mit Preisen ausgezeichnet worden. Bei der Veröffentlichung mag geholfen haben, dass ihr Ehemann selber Autor und Herausgeber gewesen ist, somit hatte sie einen Fuß in der Tür zum Literaturbetrieb. Was mich betrifft, zweifle ich daran, dass ihre Geschichten es auch ohne Beziehungen in das Licht der Welt beziehungweise in das Licht der Öffentlichkeit geschafft hätten. Aber wer weiß.
Ihre Geschichten sind exzentrisch und morbide. Sie handeln von Menschen, die in ungewöhnlichen Konstellationen leben oder ungewöhnliche Dinge tun, jedoch beginnen sie stets in einem Kontext, der durchaus der Realität entsprechen könnte. 

Inhalt: (1) Eine Liebe, die sich in Fürsorge erschöpft; (2) eine unheilbar Kranke weiß nicht mit ihrer Krankheit umzugehen und sucht Zuflucht bei einem Hund, den sie stiehlt und der schnell auf der Straße landet, also im Verderben wie sie selbst; (3) ein Schulmädel wird den Sommer über bei „Freunden“ geparkt, die weder Freunde sind noch sprachfähig; (4) eine nach außen hin glamouröse und romantisch beginnende Liebesbeziehung erweist sich als von Anfang an rostzerfressen; (5) ein altes Ehepaar hält eine Boa constrictor als Haustier; (6) eine kleine Gruppe von Müttern, deren Kinder grausame Morde begangen haben, haben nur noch einander; (7) ein Jäger macht alles tot und ein Museum behauptet, nur ein totes Tier ist ein gutes Tier; (8) ein mutterloser Junge kann keine Beziehung zum verbleibenden Vater aufbauen; (9) die Mutter eines Insassen im Todestrakt sorgt sich um dessen Garderobe auf dem heißen Stuhl, was ja immerhin einem öffentlichen Auftritt gleichkommt; (10) auf der Psychiatrie ist es nicht ganz klar, wer die Kranken sind, die Besucher oder die Patienten; (11) eine Mitleidige wird gnadenlos ausgenutzt und zerstört; (12) eine junge Frau definiert sich durch Männer und vernachlässigt dafür ihr Kind; (13) eine alkoholkranke Mutter wünscht sich, ein Zauberer würde ihr Elend wegzaubern. 

Die Dialoge der Protagonisten sind oft bizarr, „Miriam hatte Menschen, die verschwanden, gern, auch wenn sie persönlich keinen kannte“. Joy Williams Geschichten haben einen harten kantigen Zungenschlag. Sie sind alles, bloß nicht positiv oder optimistisch. 

Das große Plus: 
Warum ich die Kurzgeschichten trotzdem gerne gelesen habe? Wegen ihres sarkastischen Untertons  und wegen ihres gesellschaftskritischen Anteils. Und weil ich nach wenigen Stories darauf gespannt gewesen bin, was mir die Autorin bei der nächsten Geschichte wieder Unwahrscheinliches und Schockierendes servieren würde. Joy Williams hat ohne Zweifel ein Gespür für ungewöhnliche Konstellationen. Ihre Geschichten, so hart sie manchmal klingen, lösen sich immer in surrealistischem Nebel auf. Der Surrealismus ist für Joy Williams Hoch-Zeit des Schaffens und ihre Lebenszeit der Zeitgeist schlechthin und mag ein Grund für deren Erfolg gewesen sein. 

Fazit: Bizarr bis kalt, schockierend und überraschend. Aber auch nebulös, fluid und unwirklich. Ein interessanter Einblick in den gesellschaftskritischen schreiberischen Surrealismus der Nachkriegszeit. Bildungsbürgertumtauglich. 

Kategorie: Kurzgeschichten (nicht für Jedermann)
Verlag: dtv, 2023