Rezension

Die Anfänge der Emanzipation

Mathilde Möhring - Theodor Fontane

Mathilde Möhring
von Theodor Fontane

Bewertet mit 4 Sternen

"Mathilde Möhring" handelt von der jungen Mathilde, die mit ihrer Mutter zum Berliner Kleinbürgertum gehört und die nach dem Tod des Vaters von einer kleinen Witwenrente und der Vermietung ihrer eigenen Wohnung leben müssen. Während die Mutter von enormen Abstiegsängsten gequält wird, ist ein Mathilde ein kluger und berechnender Geist. Als sie den Studenten Hugo Großmann untervermieten, erkennt Mathilde, dass dieser eine Führungshand braucht und so setzt sie sich in den Kopf, ihn zu heiraten, um so sozial aufzusteigen und um auch ihrer Mutter ein besseres Leben bieten zu können.

Verfolgt man die Entwicklung der Romane Theodor Fontanes, so stellt man schnell fest, dass viele Themen gleich sind, der Schreibstil ist immer wiederkehrend und auch die Figuren wiederholen sich. Dennoch hat sich auch Fontane weiterentwickelt und das vor allem im Hinblick auf seine weiblichen Protagonistinnen. Während man mit Cécile eine Frau hatte, die zum Opfer der weiblichen Rollenbilder des 19. Jahrhunderts hatte und mit Effi eine Frau, die zwar Ehebruch begeht, aber ihre anschließenden Gesellschaftsausschluss stillschweigend hinnimmt, ist Mathilde eine ganze Stufe weiter. Zunächst einmal wirkt sie auf den Leser recht unsympathisch, weil sie als unterkühlt und berechnend eingeführt wird. Erst nach und nach merkt man, dass Mathilde eine sehr intelligente junge Dame ist, die sich in der Enge des Kleinbürgtums nicht verwirklichen kann. Als ihr Vater noch lebte, beschloss dieser seiner Tochter eine Ausbildung zur Lehrerin zu finanzieren. Mit dessen frühem Tod scheiterte dieser Plan jedoch. Da Mathilde und ihre Mutter am Existenzminium leben, wird sie in ihrer Ideen und Methoden schonungsloser. Natürlich muss man schmunzeln, wenn sie sich in den Kopf setzt Frau Großmann zu werden, aber andererseits merkt man, dass sie eine sehr gute Menschenkenntnis hat und diese kann sie zu ihrem Vorteil nutzen.

Ein weiteres Thema, das aufgearbeitet wird, ist wieder einmal das Rollenverständnis von Mann und Frau. Interessant ist in "Mathilde Möhring", dass Mathilde und Hugo ihre Rollen nur innen tauschen, nach außen hin macht Hugo schließlich Karriere und Mathilde bleibt als brave Frau zu Hause. An dieser Stelle merkt man dann auch, dass Mathilde ihre Intelligenz nicht dazu einsetzt, um selbst unbedingt Karriere zu machen. Raffiniert bringt sie ihren Mann dazu sein Studium zu beenden und dann eine hochrangige Amtsanstellung zu erhalten. Doch Mathilde will dafür keine Anerkennung, ihr reicht es, dass sie, ihr Mann und ihre Mutter finanziell abgesicht sind.

Schließlich macht Mathilde aber auch eine ganz bemerkenswerte Entwicklung durch. Nach dem Tod Hugos, erkennt sie, dass Hugo für sie eben nicht nur ein Mittel zum Zweck war, sondern sie erkennt an, dass beide von den Stärken des jeweilig anderen profitiert haben. Dadurch ist tiefster Respekt, vielleicht sogar innige Liebe füreinander entstanden. Daher lehnt sie es ab erneut zu heiraten und behält den Witwenstand, um ihren Traum als Lehrerin zu erfüllen. Damit ist Mathilde Möhring die erste weibliche Protagonistin Theodors Fontane, die man mit Fug und Recht als emanzipierte Frau bezeichnen kann. Die anfängliche Skepsis ihr gegenüber weicht bei dem Leser einer gewissen Anerkennung, da sie ihre Stärken geschickt eingesetzt hat ohne ihre Menschlichkeit zu verlieren.

In "Mathilde Möhring" werden natürlich noch einige weitere Themen behandelt (Gegensatz Kunst-Wissenschaft, Abstiegsangst etc.), doch die Betrachtung Mathildes ist das entscheidende Merkmal. Ihre Entwicklung, aber auch die Theodor Fontanes ist interessant zu beobachten, vor allem, wenn man bedenkt, dass Emanzipation kurz vor der Jahrhundertwende noch ein Zukunftsgedanke ist. Einzelne wüste Beschreibungen und Bezeichnungen, die den Charakteren nicht eindeutig zugeordnet werden können, gehören auch zu diesem Roman, aber das ändert nichts daran, dass "Mathilde Möhring" eine gute Unterhaltung bietet.