Rezension

Die goldenen 20er Jahre

Spiel der Hoffnung - Heidi Rehn

Spiel der Hoffnung
von Heidi Rehn

Bewertet mit 5 Sternen

~~1927. Nach dem Tod ihrer Mutter Hannah findet Ella Wittkamp in deren Hinterlassenschaft die Münchener Adresse des Professors Constantin Lutz mit der Aufforderung zu einem Besuch. Ella reist von Berlin nach München, um den Professor aufzusuchen und findet sich alsbald als Dauergast in seinem Haus wieder, wobei er Ella eine Mappe mit wichtigen Unterlagen aushändigt und sie gegenüber seinen Freunden und Geschäftskollegen als seine Nichte ausgibt. So lernt Ella auch Jobst von Kirchenreuth kennen und die beiden verlieben sich auf Anhieb ineinander. Ein halbes Jahr später, kurz nach dem Tod des Professors, heiraten Ella und Jobst und ziehen in die Villa zu Jobsts Familie. Bereits die Hochzeitsreise eröffnet Ella einige dunkle Seiten ihres Ehemannes, auch überlässt Jobst tagelang sich selbst, ohne dass Ella weiß, was ihr Gatte so treibt. In der Kirchenreuthschen Villa muss sie sich gegen Schwägerin Viktoria wappnen, die ihr feindlich gesinnt gegenüber steht und alle Register zieht, um Ella als Schwindlerin zu entlarven. Ella fühlt sich in der Villa nicht wohl, sie vermisst ihre Freundin Rike und wünscht sich ein Leben nur mit ihrem Mann in den eigenen vier Wänden. Auch die schwarze Mappe vom Professor gibt ihr Rätsel auf, die sie unbedingt lösen möchte, da es sich offensichtlich um Aufzeichnungen ihres Vaters handelt. Wird Ella endlich mehr über ihre eigenen Eltern erfahren? Und wird sie an der Seite von Jobst wirklich glücklich werden?
Heidi Rehn hat mit ihrem Buch „Spiel der Hoffnung“ einen wunderbaren historischen Roman vorgelegt, der die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, die Zeit der Weimarer Republik, wieder auferstehen lässt. Der Schreibstil ist herrlich flüssig, der Leser wird geradezu in die damalige Zeit versetzt und erlebt anhand von Casinobesuchen, Musikveranstaltungen, Reisen nach Monte Carlo und Paris den mondänen Lebensstil einer wohlbetuchten Gesellschaft mit, aber auch die Welt der Journalisten, die auf eine gewagte Story hoffen, oder den Nachforschungen eines Privatdetektives, der Verborgenes zutage fördert, was Schwierigkeiten bringt und die Betroffenen gerne vernichtet sehen würden. Auch die damalige politische Lage wird von der Autorin sehr schön in die Handlung miteingeflochten und wirkt so wie ein Stück Zeitgeschichte, das der Leser per Kopfkino miterleben darf. Die Anfänge der NSDAP und die unterschiedliche Wahrnehmung in der Bevölkerung werden ebenso thematisiert, wie die verschiedene Beachtung dieser Partei in Berlin und München.
Die Charaktere sind sehr unterschiedlich skizziert, haben alle ihre Eigenheiten und wirken dadurch sehr lebensecht und authentisch. Ella ist eine sympathische Frau, die allerdings zu Beginn auch noch sehr naiv wirkt aufgrund ihres Alters. Sie liebt ihren Ehemann von Herzen, obwohl sie sich kurz nach der Hochzeit eingestehen muss, dass sie sich so gut wie gar nicht richtig kennen. Doch Ella erlebt während des Romans eine erstaunliche Entwicklung, sie beginnt, Dinge zu hinterfragen und verfolgt hartnäckig die Antwort auf ihre Fragen. Dabei erfährt sie überraschenderweise Hilfe von ihr teilweise nur flüchtig bekannten Menschen, aber auch von ihrer Freundin Rike. Rike ist eine typische Berliner Pflanze, fühlt sie sich unbeobachtet, redet sie mit Berliner Schnauze, ansonsten ist sie sehr darauf bedacht, sich überall ihren Vorteil zu sichern und sich einen Platz in den wohlhabenden Kreisen zu erobern. Manchmal gewinnt man den Eindruck, sie würde Ella nur ausnutzen, doch im entscheidenden Augenblick ist auf Rike Verlass, und das ist unbezahlbar. Auch die Reichen werden Rike egal, als sie auf die wahre Liebe trifft. Jobst ist ein unsteter Mann, der Ella zwar wirklich liebt, der aber auch seine Geheimnisse mit sich herumträgt und an einer Schuld trägt, über die er nicht spricht, sich aber mit  Drogen Erleichterung verschafft. Man weiß nie, wie er im nächsten Moment reagieren wird, was einiges an Spannung erzeugt. Viktoria ist eine missgünstige und hochmütige Person, die mit ihrem eigenen Ehemann große Probleme hat, so dass sie anderen ihr Glück nicht gönnt. Doch leider ist sie nicht clever genug, um ihre Trümpfe auszuspielen. Gleichzeitig ist Viktoria aber auch einer der spannendsten Charaktere in diesem Roman, denn durch ihr Verhalten gibt es einige interessante Wendungen innerhalb und außerhalb der Familie, die recht bedeutsam sind. Auch die anderen Protagonisten tragen mit ihren kleinen Episoden und ihrem Verhalten zu der opulenten Handlung dieses Romans bei.
„Spiel der Hoffnung“ ist ein sehr interessanter und spannender Familien- und Gesellschaftsroman in den 20er Jahren, der sowohl historisch als auch fiktiv nichts vermissen lässt und einmal mehr zeigt, dass Heidi Rehn exzellent recherchiert und wunderbare Geschichten erzählen kann, bei denen das Kopfkino keine Pause hat. Man darf gespannt sein auf das nächste Werk der Autorin. Absolute Leseempfehlung!!!