Rezension

Die letzten roten Socken auf dem Weg zum Planeten Neptun

Neptunation - Dietmar Dath

Neptunation
von Dietmar Dath

Bewertet mit 3 Sternen

Kurz vor dem Untergang der Sowjetunion und der DDR war eine Weltraummission der Bruderstaaten weiter als Menschen je zuvor ins All vorgedrungen. Von der Besatzung hörte man nie wieder – bis eine rätselhafte Nachricht vom Planeten Neptun eingeht, von der unklar ist, ob es sich überhaupt um Sprache handelt. Eine internationale Rettungsmission soll Klarheit schaffen. Ein glücklicher Zufall sorgt dafür, dass einflussreiche Teammitglieder über solide Deutsch-Kenntnisse verfügen, so dass Deutsch mit nautischem Vokabular Bordsprache sein wird.

Allein zur Entzifferung der Nachricht nimmt die Mannschaft einen Linguisten mit an Bord, der hoffentlich in den Sprachschnipseln Elemente irgendeiner alten Sprache entziffern kann. Im ersten Kapitel „Inselwissen“ stehen Personen, Ort und Zeit sich nur lose verknüpft gegenüber, die Informationen wirken tatsächlich wie Inselchen und der Roman eher wie ein durchlöcherter Sandstein. Sehr viele Personen werden eingeführt, von denen zunächst nicht klar ist, ob sie alle an der Mission teilnehmen werden. So lernt man den chinesischen Raketenfachmann mit Kenntnis deutscher Fachliteratur Aiguo Sun kennen, das Ex-Mitglied eines Sondereinsatzkommandos Meinhard Budde, den Russen Witali Samulin und den Sprachwissenschaftler Christian Winseck, Deutsch-Amerikaner und in seinem US-Heimatort als uneheliches Kind ausgegrenzt. Hinter dem Projekt scheint die Deutsche Cordula Spät zu stehen, von der niemand weiß, wer sie ist und wessen Interessen sie vertritt. Über diesem Wonderwoman mit Herrschaftswissen und klarer politischer Mission scheint es zunächst keinen Vorgesetzten zu geben, Carolas Ziel das Tricksen und Täuschen zu sein.

Die Reisedauer zum Neptun wird auf 12 Jahre geschätzt. Mich hat deshalb brennend interessiert, ob sich während einer Mission mit unklarem Ausgang Sprache, Identität und Temperament der Teilnehmer angleichen. Wie russisch ist Witali nach einigen Jahren noch, wie chinesisch Aiguo und wie amerikanisch Christian? Wie verändert ein gemeinsamer, eingeschränkter Wortschatz das Denken? Haben Nationalität und kulturelle Identität noch einen Sinn, wenn man damit rechnen muss, nicht auf seinen Heimatplaneten zurückzukehren? Auch mit Blick auf die Funktion automatischer Systeme und künstlicher Intelligenz wäre eine Veränderung dieser Variablen interessant gewesen. Die Trennung in kapitalistische und sozialistische Staaten, in Ost- und West-Deutschland wurde durch die Mission offensichtlich nicht Geschichte, sondern dient den führenden Köpfen noch immer zur Erklärung historischer und technischer Entwicklungen. Einige Figuren scheinen schlicht dafür gedacht zu sein, dass sie Fachwissen aus ihrem früheren Leben mit ins All bringen und der nicht mehr auf der Erde geborenen Generation Vergangenes erklären können.

Nach den ersten 180 Seiten, die in der Gegenwart spielen, hat mir außer einem roten Faden die räumliche und zeitliche Orientierung gefehlt, die folgenden 200 Seiten waren nicht ergiebiger. Die Figuren schienen in ihrer Entwicklung zu stagnieren. Interessant wurde die Mission für mich erst mit der Beschreibung der von Korallen gebildeten schüsselförmigen Insel im Bereich des Neptun. Außer einer nach einem Jahrzehnt weit über 70 Jahre alten Ur-Besatzung, der ein Generationenwechsel bevorsteht, bietet das letzte Drittel der Space-Opera höchst interessante Ideen, wie der zunehmende Anteil an Implantaten im menschlichen Körper, die von Generation zu Generation Weichteile durch Elektronik und Metall ersetzt.

Eine Liste der Personen und der Raumschiffsegmente hätte ich hilfreich gefunden.

Eine soziale Utopie, in der sich das Leben in internationalen Teams verfolgen lässt, ist Neptunation (in der Bedeutung: Herrschaft über das Sonnensystem vom Neptun aus) leider sehr begrenzt. Aus meiner Sicht fehlt dem Roman ein roter Faden und er konnte mich erst im letzten Drittel fesseln.