Rezension

Die Liebe als wahre Religion

Sophia, oder der Anfang aller Geschichten - Rafik Schami

Sophia, oder der Anfang aller Geschichten
von Rafik Schami

Bewertet mit 4 Sternen

Rafik Schami erzählt eine ernste Geschichte: die Geschichte des syrischen Exilanten Salman, der vor dem Assad-Regime aus Damaskus fliehen musste und nach vierzig Jahren Exils zurückkehrt. Es ist auch Schamis eigene Geschichte, soweit es um den Verlust der Heimat und der Familie geht und um die Erkenntnis, dass die Stätten unserer Kindheit sich nicht wieder besuchen lassen, weil sie sich verändert haben und nur in der Erinnerung gleich geblieben sind.

Im ersten Teil des Romans erfahren wir die Lebensgeschichten von Salman, der mittlerweile  mit seiner Frau Stella und seinem Sohn Paolo in Rom lebt, und die von Karim und Aida, einem in Damaskus lebenden Paar, die mit Mitte siebzig und Mitte fünfzig einen zweiten Frühling der Liebe erleben. Beiden Erzählsträngen ist die Erzähllust Schamis anzumerken, denn immer wieder schweift er in orientalischer Üppigkeit ab: in die Vergangenheit, zum Nachbarn, zum vorher Geschehenen oder einfach zum Mokka. Es ist das Damaskus der vergangenen vierzig Jahre, das dabei lebendig wird und das sich unter dem despotischen Druck der Diktatur durch das Assad-Regime ändert.

Verbunden werden die beiden Erzählstränge in der Gestalt Sophias, die einerseits Salmans Mutter und andererseits Karims erste Liebe ist. Als Salman den Amnestieversprechungen des Regimes glaubt und sein eigenes Heimweh nicht mehr aushalten kann, reist er nach Damaskus, findet Freund und Feind und die Familie verändert und doch gleich geblieben vor, wird aber alsbald vom Geheimdienst unter der fingierten Anklage des Mordes gejagt.

Dieser zweite Teil des Romans gerät spannend und reißt den zuweilen mäandernden Erzählstil der ersten Hälfte in einem rasanten Tempo mit. Hier wird auch das politische Anliegen Schamis sichtbar, der die Grausamkeiten der syrischen Diktatur bis heute herausstellt. Salman gelingt es, dem Regime ein Schnippchen zu schlagen und endlich bei Karim und Aida unterzukommen, womit die Erzählstränge vereint werden. Und es ist das Sophia in Jugendtagen gegebene Versprechen, weswegen Karim Salmans sichere Heimkehr organisiert.

Zwei Hauptthemen durchziehen die Erzählung: die zerstörerische und antimoderne Kraft der arabischen Sippe, die den arabischen Raum am gesellschaftlichen Fortschritt hindert und Despotien im Großen und Kleinen befördert; und die heilende und selig machende Kraft der Liebe, die Schami seinen durchweg modernen, aufgeklärten und unreligiösen Figuren gönnt. Karim erhebt die Liebe gar zu seiner wahren Religion.

Rafik Schami ist ein starkes Buch gelungen, dem man Zeit geben muss, um seine Geschichte zu entwickeln, deren Lektüre aber dann umso tiefer greift. Von der ersten bis zur letzten Seite schimmert Schamis Charme durch die Zeilen.