Die Melodie der Worte...
Bewertet mit 5 Sternen
Rosarius Delamot, der lange kleinwüchsig bleibt und summt statt spricht, lebt in seiner eigenen Welt, nimmt die Dinge anders wahr als gewöhnliche Menschen. Er wächst bei seiner Mutter auf, seinen vermeintlichen Vater, einen Archäologen, der das Straßennetz des antiken Römischen Reiches kartographiert hat und später verschollen blieb, lernt er nie kennen. In Peeh findet Rosarius jene Frau, die er ein Leben lang lieben wird.
Als alter Mann trifft er auf die Pflegerin Annie, in der er seiner Peeh wieder begegnet. Ihr erzählt er die sonderbare und außergewöhnliche Geschichte seines Lebens.
Benannt wurde Rosarius nach einen Ururgroßonkel, der einst als Hausierer in der Eifel unterwegs war. Ob Kathy tatsächlich Rosarius Mutter war, wird nicht deutlich, aber sie versteckt das seltsame Kind vor den Nazis und kümmert sich liebevoll um ihn. Weil Rosarius bis zu seinem 23. Lebensjahr nicht spricht, sondern summt, und sich auch ansonsten "seltsam" verhält, glaubt jeder, dass er dumm ist und nichts versteht. Dadurch erfährt Rosarius aber vieles, was die Menschen ansonsten eher für sich behalten würden:
"Auch wenn ich nicht sprechen konnte, behielt ich fast alles, wovon aber niemand wusste. Weil ich keine Wörter für die Dinge hatte, dachte alle, ich sei blöde und könne mir nichts merken. Sie dachten, man könne sich nur auf ihre Weise erinnern. Daher benahmen sich die Menschen in meiner Gegenwart, als sei ich nicht vorhanden, redeten und taten, was sie wollten, denn ich würde es ohnehin niemandem sagen können. Ich fühlte mich, als würde ich mit einer Tarnkappe herumlaufen, war jemand, der gar nicht vorhanden war." (S. 53)
In Rückblenden erzählt Rosarius im Alter von seiner Lebensgeschichte, kleine Ausschnitte immer nur, die sich wie ein Puzzle allmählich zu einem Bild zusammensetzen, das von Höhen und Tiefen geprägt ist. Unterbrochen werden die Erzählungen immer wieder durch das ständige murmelnde Herunterrasseln von Straßennamen, die Rosarius irgendwann einmal gehört oder gelesen und seither nie mehr vergessen hat. In seinem Nachwort meint Norbert Scheuer hierzu, dass diese Straßen ein Labyrinth darstellen, das Labyrinth von Rosarius Liebe zu Peeh, der ewigen und vergeblichen Suche nach seinem Ursprung.
Die Pflegerin Annie ist diejenige, der Rosarius seine Geschichte erzählt, als er nach einem Schlaganfall ins Altersheim kommt. In ihr glaubt er seine Peeh wiedergefunden zu haben, was ihn mit dem Leben versöhnt. "Bei manchem, was Rosarius ihr erzählte, wusste Annie nicht, ob es tatsächlich stimmte. Vielleicht erträumte er sich auch nur eine Geschichte, so wie wir alle mehr oder weniger unser Leben in Träumen erschaffen." (S. 138)
Die Sprache ist eine ganz besondere. Voller Wärme, bildgewaltig und poetisch, dabei ganz leise und zart. So taucht man behutsam ein in die Gedanken- und Gefühlswelt von Rosarius, manchmal auch von Annie, lässt sich treiben im ruhigen Fluss.
Immer wieder finden sich Passagen von Hölderlins "Hyperion", einem lyrisch-elegischen Roman von Liebe und Sehnsucht. Der Lebensgefährte von Rosarius Mutter hat dieses Buch ständig gelesen, auch laut, und Rosarius kann ganze Passagen auswendig. So werden immer wieder Zitate eingestreut: "Und wenn ich oft dalag unter den Blumen und am zärtlichen Frühlingslichte mich sonnte und hinaufsah ins heitre Blau, das die warme Erde umfing." (S. 77) Aber auch die Gedanken von Rosarius und Annie vermischen sich immer mehr mit der Sprache Hölderlins.
Ein wunderschönes Buch, das etwas anklingen lässt im Leser, zart berührt und lächelnd zurücklässt.
© Parden