Rezension

Die Namenlosen von Amrum - intelligent, humorvoll und spannend mit viel Lokalkolorit.

Die Namenlosen von Amrum - Jürgen Rath

Die Namenlosen von Amrum
von Jürgen Rath

Bewertet mit 5 Sternen

"Mordsee - Spuren" führen zu außergewöhnlicher Krimi-Lektüre.

Steffen Stephan arbeitete als Archivar am Sozialhistorischen Institut in Hamburg und hatte zusammen mit dem Historiker Dr. Zöllner und dem Fotografen Sergio Conetti etliche erfolgreiche Bücher über Friedhöfe erstellt, die – interessant und ansprechend von den drei Experten konzipiert – ein Erfolg für den herausgebenden Verlag gewesen waren. Aber mittlerweile hatte sich das Ding totgelaufen, war diese „Friedhofswelle“ verebbt und mindestens so tot wie die Leichen, die dort in ihren Gräbern ruhten und keinen Studenten mehr auch nur ins erste Semester lockten. Zumindest war das die momentane Situation, wenn man den Ausführungen Professor Hübners Glauben schenken wollte, der schon erste Maßnahmen ergriffen hatte. Dr Zöllner musste bereits zu Trenchcoat und Hut greifen, seinen aufgeräumten Schreibtisch verlassen und war dann nach ein paar Abschiedsworten gegangen. Conetti eilte mit geschulterter Fototasche zu einem anderweitigen Termin, bei dem es ein paar bellende Hunde abzulichten gab, die irgend welches Hundefutter in sich hineinschlangen. Nie würde er dort die geliebte Nähe zum Jenseits und das wundersame Energiepotential finden können, das ihm die Arbeit auf alten, prachtvollen Friedhöfen geboten hatte. Die berufliche Luft für Steffen wurde nun ebenfalls recht dünn,das spürte er auch ohne Hübners Hinweis, dass man auf Seiten des Verlages auf ein neues Konzept warte und nicht viel Geduld an den Tag lege. Wenn etwas schief lief im Leben, dann meist in allen Bereichen, da machte Steffen keine Ausnahme, denn privat ging's gerade auch ein bisschen aus der Spur – oder wie nennt man das, wenn einen die Freundin sitzen lässt? Ferientage wären dringend vonnöten, aber ist Camping-Urlaub auf Amrum mit einer Broschüre über gesundes Heilfasten im Gepäck wirklich die beste Methode, ein neues Konzept für berufliche Erfolge zu entwickeln, wie es Hübner von ihm erwartete? Auch die quirlige, unkonventionelle junge Studentin Lilianne Feldmann, die ihm als Praktikantin vom Festland auf die Insel folgen musste, um ihn bei seiner Projektgestaltung zu unterstützen, entsprach letztendlich so gar nicht seinem etwas hölzernen, bieder-konventionellen Naturell, war also sicherlich ebenfalls kein Grund zur Freude. Als sie dann bei ihren Recherchen auf dem „Friedhof der Namenlosen“ auf Ungereimtheiten in der Grabbelegung stießen, wurde ihnen der Boden unter den Füßen verdammt heiß, und die vorher schon wortkargen Inselbewohner bildeten eine bedrohliche Mauer das Schweigens. Sollte der aufgespießte Totenkopf-Falter eine Warnung sein? In wessen Focus befanden sich die beiden Ahnungslosen plötzlich? Sie waren einem Geheimnis auf die Spur gekommen, dessen Aufdeckung verdammt gefährlich für sie sein konnte.

Wieder einmal – ebenso wie in seinem Kriminalroman „Nordhörn“ - versteht es Jürgen Rath in absolut professioneller Manier einen unschlagbaren Mix aus mehreren Elementen herzustellen. Er verbindet Handlungsstränge aus verschiedenen Zeitebenen, um mit dem einen die Basis für den anderen zu bilden, konfrontiert die gegensätzlichsten Charaktere um atmosphärische Authentizität zu erzeugen und bedient sich dann hier altvertrauter Protagonisten-Merkmale, um dem Leser das Vergnügen zu bereiten, Steffen Stephan wiederzutreffen. Und dessen unvergleichliche Art – schrullig, akribisch und ein bisschen hausbacken – hat echten „Wieder-Erkennungs-Wert“ und begegnet dem Leser wie ein alter Bekannter. Aber auch Lilianne, die „Neu-Gestaltete“ ist ausgezeichnet gelungen und spielt meisterhaft ihren Gegenpart. Rundheraus gesagt: Die Besetzung stimmt auch in diesem Roman absolut.

Wieder einmal punktet der Autor mit seinem hervorragenden historischen Wissen, einer leserfreundlichen Auflistung im Glossar sowie seiner Amrum-Skizze und dem gesamten informativen Anhang.

Jürgen Rath ist ein Schriftsteller, der auf hohem Niveau arbeitet und auch hier wieder mühelos diesen level erreicht, den er sich selbst vorgegeben hat.

Ein kriminalistisches Lesevergnügen – angenehm „blutarm“, aber intelligent, geistreich und humorvoll.