Rezension

Die niedrigen Himmel

Die niedrigen Himmel - Anthony Marra

Die niedrigen Himmel
von Anthony Marra

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt:
Achmed wohnt in einem kleinen Dorf in Tschetschenien, einem Land, das seit vielen Jahren vom Krieg gebeutelt wird. Als sein ältester Freund und Nachbar von den Föderalen verschleppt und dessen Haus abgebrannt wird, steht für ihn fest, dass er dessen 8-jährige Tochter Hawah vor dem Zugriff durch die Föderalen schützen muss – denn auch sie wird gejagt, warum weiß niemand. Doch eines ist sicher: ein Verräter ist unter ihnen und nicht nur Hawah lebt in ständiger Gefahr…
Achmed geht ein großes Risiko ein, bringt Hawah in das nächstgelegene Krankenhaus, wo sich die Ärztin Sonja künftig um sie kümmern und verstecken soll . Doch Sonja hat andere Sorgen: mit nüchterner Verbissenheit kämpft sie im halb verfallenen und verwaisten Krankenhaus täglich um das Leben vieler Verletzter, während sie gleichzeitig sehnlichst auf die Rückkehr ihrer verschwunden Schwester Natascha wartet. Sie nennt ihren Preis: Achmed soll im Krankenhaus helfen! Als sich die drei Menschen in dieser schwierigen Zeit der Zerstörung und Verfolgung langsam einander annähern, erhalten Begriffe wie Zusammenhalt, Vertrauen und Liebe nach und nach eine völlig neue Bedeutung - das Schicksal nimmt seinen Lauf...

Meine Meinung:
Realer Hintergrund und gleichzeitig Schauplatz dieses Debütromans von Anthony Marra ist der neueste Krieg in Tschetschenien. Wirkungsvoll – und gleichzeitig einfühlsam – beschreibt er den harten Alltag in einem Land, das von Krieg und ewigen Kämpfen zwischen Föderalen und Rebellen gezeichnet ist. Er entwickelt daraus und darin eine Geschichte, die spannender kaum sein könnte.

Dabei bedient sich Marra eines grandiosen und ausdrucksstarken
Erzählstiles, der mich zu Beginn wahrlich überrascht und absolut gebannt
hat. Es ist erstaunlich, welche Wortgewalt er an den Tag legt: Viele
hintergründige, philosphisch anmutende und mit Metaphern durchsetzte
Sätze, oft in sich verschachtelt, die dafür sorgen, dass man sie einfach
nicht übergehen kann, sondern gezwungen wird, sich mit ihnen – und
ihrer Bedeutung – auseinanderzusetzen, sie bewusst wahrzunehmen. Kein
Roman also zum schnellen Lesen im Vorbeigehen, sondern ein Buch, das
seine Aufmerksamkeit einfordert, will man es in seiner vollen Tiefe
genießen und auskosten. Abgesehen von diesen Sätzen (die mein
Zitatenheft zu Beginn fast schneller füllten, als ich lesen konnte ;-) )
liest sich dieser Roman angenehm flüssig und zieht den Leser schnell in
seinen Bann.

Die fiktive Geschichte einer Handvoll Protagonisten, von denen jeder einzelne von einem eigenen (Kriegs-)Schicksal gezeichnet ist, ist gleichermaßen packend, bewegend als auch spannend und faszinierend. Innerhalb eines Zeitraumes von ca. 10 Jahren begleitet der Leser die verschiedenen Figuren und ihre Erlebnisse, schweift hin und wieder zu prägenden Ereignissen in der Vergangenheit ab, um jedoch schließlich immer wieder zum Ausgangspunkt in der Gegenwart (2004) zurückzukehren. Die Zeichnung dieser Charaktere und der Ereignisse gelingt dabei sehr überzeugend, es fällt leicht, sich in Situationen wie Menschen hineinzuversetzen und mitzufühlen. Marra lässt seine Figuren die unterschiedlichsten Gefühle durchleben: Mitgefühl, Zweifel, Verzweiflung, Liebe, Resignation, Hoffnung, Freundschaft, Humor – und überträgt diese gekonnt auf den Leser, der sich bald darin wiederfindet.

Ich fand es wirklich beachtlich, wie geschickt Marra mit den Menschen und ihren Gefühlen umgeht, dabei keineswegs nur an der Oberfläche kratzt, sondern tiefer geht und wirklich deutlich zeigt, warum und wie der Krieg die Herzen und Wesen der Menschen beeinflussen kann, sie wachsen lässt – oder brechen, sie füreinander einstehen lässt – oder verrät.

Bei aller Traurigkeit und Trostlosigkeit des andauernden Krieges, der ständigen Gefahr, legt er dabei einen feinen, oft sarkastischen Humor an den Tag, der sich geschmeidig Situationen und Menschen anpasst. Einige Personen, die auf den ersten Blick vielleicht ein wenig emotionslos erscheinen, erhalten dadurch eine lebendigere und sympathischere Note.
Den Einblick, den der Autor in Hintergrund und Kultur dies Landes gibt, vor dessen Kulisse dieser Roman spielt, macht neugierig und regt dazu an, sich eingehender darüber zu informieren.

Fazit:
Ein tiefgründiges, sprachlich wie inhaltlich atemberaubendes und absolut überzeugendes Debüt, das bewegt und einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Ich bin sehr gespannt auf weitere Romane dieses Autors, der es so meisterhaft versteht, mit der Sprache zu jonglieren !
Ein Buch, das ich sehr gerne weiterempfehle !