Rezension

Die Rolle der Presse

Paperboy - Pete Dexter

Paperboy
von Pete Dexter

Bewertet mit 4.5 Sternen

Florida, 1965. Der Sheriff einer kleinen Stadt wird brutal ermordet. Zu Lebzeiten war er dafür bekannt, dass er „in Ausübung seines Amtes eine selbst für die Verhältnisse von Moat County unangemessen hohe Anzahl von Schwarzen umgebracht hatte“. Sein letztes Opfer war allerdings ein Weißer gewesen, den er bei einer Verhaftung auf offener Straße zu Tode getreten hatte. Dessen Vetter, der für seine Aggressivität und Gewalttätigkeit bekannte Hillary Van Wetter wird kurz danach verhaftet und nach kurzem Prozess zum Tode verurteilt.

1969. Hillary Van Wetter sitzt seit 4 Jahren in der Todeszelle. Dort nimmt eine Frau namens Charlotte Bless Kontakt zu ihm auf. Schon seit Langem fühlt sie sich zu Mördern hingezogen, schreibt ihnen Briefe ins Gefängnis. Von Van Wetter ist sie so fasziniert, dass sie sich mit ihm verlobt, obwohl sie ihn noch nie zuvor gesehen hat. Von seiner Unschuld überzeugt, engagiert sie zwei bekannte Reporter. Sie sollen den Fall aufrollen, Verfahrensfehler aufdecken und so letztlich für Hillarys Freilassung sorgen.

Soweit die Ausgangssituation. Worum es sich im Buch jedoch in erster Linie dreht, ist die Rolle der Presse. Die beiden erwähnten Reporter sind ein gewisser Yardley Acheman und sein Partner Ward James, der von seinem jüngeren Bruder Jack begleitet wird. Dieser Jack ist gleichzeitig der Erzähler. Der Vater der beiden ist Herausgeber der „Moat County Tribune“, der „einzigen liberalen Zeitung in den ländlicheren Teilen des Staates“. Alle vertreten sie die Presse und sind dabei doch total verschieden.

Der eine sammelt Fakten und recherchiert bis ins kleinste Detail. „Er hielt seinen Schreibtisch sauber und überprüfte zwanghaft jedes Detail. …. Eine Story besaß für meinen Bruder ihre eigene Autorität, und mithilfe dieser Autorität konnte er sogar vertrauliche Themen angehen, denen er sich aus eigenem Antrieb niemals genähert hätte.“
Der andere will in erster Linie eine gute Story schreiben. „Yardley Acheman fand im Blutbad jener Nacht, …, seine Berufung, in der Ungeheuerlichkeit des Entsetzlichen. Er wurde rot vor Aufregung, wenn er davon erzählte…“
Und der Vater? Er will ein guter Pressemann sein, sorgt sich aber gleichzeitig ungemein um sein örtliches Ansehen. „Die Zeitung war liberal, wenn auch auf eine hoffnungslose und harmlose Art, die keinem Menschen wehtun wollte.“

Schnell finden sich Anhaltspunkte auf grobe Fehler während der Verhaftung und des Verfahrens. Und jeder der beiden Reporter hat nun seine Gründe, den Fall aufzurollen. Aber welche Rolle kann die Presse in einem Fall wie dem um Hillarys Schuldfrage haben? Welchen Einfluss darf sie überhaupt haben und welche Position wird sich am Ende durchsetzen?

Meine Güte, was für ein spannendes Buch! Ich habe es glücklicherweise an einem freien Tag begonnen – so brauchte ich es nicht aus der Hand zu legen. Bis zum Schluss ist unklar, wie die ganze Sache ausgehen wird. Für jeden der Protagonisten gibt es Höhen und Tiefen und ich fragte mich, wie es mit ihnen wohl weitergehen wird, wer am Ende mit seinem Weg erfolgreich sein wird. Ob Hillary nun schuldig war oder nicht und ob man auch mit guten Absichten möglicherweise Schaden anrichten kann…

Wirklich empfehlenswert und total interessant, sich mal so mit der Rolle der Presse zu beschäftigen. Der Autor weiß, wovon er schreibt. Der Umschlagtext informiert darüber, dass Pete Dexter über fünfzehn Jahre als Zeitungsreporter in Philadelphia arbeitete. „Nachdem er im Zuge einer kontroversen Berichterstattung angegriffen und krankenhausreif geschlagen wurde, gab er seinen Beruf auf."

Warum „nur“ 4,5 Punkte? Es gab ein paar Kleinigkeiten, die mich gestört haben. So wurde bei der Beschreibung des sozialen Umfelds von Hillary ganz tief in die unterste Schublade der gängigsten Vorurteile gegriffen und kein Klischee ausgelassen. Da wurden Kinder verprügelt, Frauen mussten sich ihren Männern total unterordnen und die Männer wurden in ihren Wohnungen häufig komplett nackt angetroffen. Das war für meinen Geschmack ein wenig zu dick aufgetragen und weniger wirkt auf mich meist glaubwürdiger. Das war’s aber schon.

Vielen Dank, liebe Anne fürs Leihen.