Rezension

Die Stadt und der Müll

Der Bonbonpalast
von Elif Shafak

Bewertet mit 4 Sternen

Der Bonbonpalast ist ein reichlich heruntergekommenes Mietshaus, in nicht gerade dem besten Viertel Istanbuls gelegen und von einer recht merkwürdigen Schar von Menschen bewohnt. Die Erzählung springt von Wohnung zu Wohnung, erzählt die oft skurrilen Geschichten dahinter, ergänzt sie um Anekdoten, Vergangenes und die Vorgeschichte des Hauses. Es gibt als recht zweifelhaftes Ich einen versoffenen, untreuen Universitätsprofessor, der ebenfalls hier wohnt, sonst werden die Geschichten in der dritten Person erzählt. Zentrales Motiv ist der ständig anfallende Müll, der durch ihn verursachte Gestank und das dadurch angelockte Ungeziefer. Das kann man zum Einen als turbulenten Erzählstrang dieses bunten, vielstimmigen Romans betrachten. Woher dieser ganze Müll kommt und wohin er immer wieder verschwindet, beschäftigt die Bewohner zunehmend. Elif Shafak wählt einen flotten, ironischen Tonfall, der gut zu den skurrilen Charakteren passt. Es herrscht eine große Personen- und Geschichtenfülle, Shafak hat ihren Roman aber so gut gebaut, dass er trotzdem nie auseinanderfällt. Ein Mieterverzeichnis erleichtert zudem die Orientierung. Die Geschichten verzahnen sich zunehmend, oft freut man sich über Berührungspunkte oder dieselbe Situation aus unterschiedlicher Sicht. Man kann das Buch also durchaus als amüsanten Roman über eine Schar unterschiedlichster Typen lesen, so bunt und laut wie die Stadt Istanbul selbst. Der Bonbonpalast schien mir aber gleichzeitig auch als Sinnbild für Istanbul oder die Türkei selbst. Vielstimmig, disparat, überquellend wie die Müllberge vor der Tür. Ein bisschen wie das von einer Bewohnerin zubereitete Dessert Asure, zusammengewürfelt aus den unterschiedlichsten Resten aus der Küche. Das Müllproblem könnte man dann als konkrete Kritik ansehen, oder auch als Sinnbild für ein Land, das versucht seiner Vergangenheit ähnlich wie seinem Müll zu entkommen, daran aber genauso scheitert. Auch Problem wie Selbstverletzung, Migration, die Rolle der Frau und vieles mehr kann man im Buch entdecken. In vielem wird es zu wenig konkret, auch das Personal wird zwar durchaus liebevoll beschrieben, ist aber bis auf vielleicht die Friseur-Zwillinge relativ unsympathisch. Das nimmt dem Roman ein wenig das Potential. Als ironischen, bunten Roman, als Hymne an das vielschichtige, lebendige Istanbul besteht er aber auch dann.