Rezension

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Die Stimmen über dem Meer - oder auch die Reise zu sich selbst...

Die Stimmen über dem Meer - Bettina Storks

Die Stimmen über dem Meer
von Bettina Storks

Bewertet mit 4.5 Sternen

Der zweite Roman der (für mich persönlich schriftstellerisch begnadeten) Autorin Bettina Storks ist broschiert im Verlag Bloomsbury Berlin 2015 erschienen. Den ersten Roman von ihr ("Das Haus am Himmelsrand") habe ich mit großer Begeisterung gelesen und fand am Nachfolgeroman, der - wie das schöne Cover zeigt - in der Bretagne, dem "Finistère", verortet ist, ebenso viel Lesevergnügen: Es handelt sich um einen Frauenroman (auch wie sich bereits zeigte, von Männern sehr wohlwollend zu lesen ;) der einem Familiengeheimnis und -ereignis auf den (bretonischen) zugrunde liegt....

Meine Meinung:

Der Leser begleitet Morgane, eine Halbbretonin, die in Deutschland aufwuchs und ein Haus ihrer Tante Fanny an der bretonischen Küste erbt, mitsamt seiner Bewohnerin (Paulette), deren sprödes und anfangs eher feindseliges Verhalten sich im Romanverlauf so sehr verändert, dass sie einem ans Herz wächst, da sie im wahrsten Sinne des Wortes "mächtig was auf der Pfanne hat". Im Prolog erleben wir das Ertrinken von Elaine, Morgane's Mutter; dies stellt das zentrale Motiv der Handlung dar: Morgane kann nur in der Bretagne selbst Antworten zum Tode ihrer Mutter finden...Von ihrem Freund Stefan nach Beziehungskrisen getrennt, nimmt sie ihr Erbe und damit ein neues Kapitel im 'Buch ihres Lebens' an: Sie befreundet sich mit Annick, einer Nachbarin und deren Tochter Viviane; sie lernt Mael kennen, den Vater Vivis und Armel Briag, einem alten Mann, der zurückgezogen auf einer Insel lebt... Morgane sucht Antworten zu den Fragen, die sie ihr ganzes Leben lang mit sich trägt. Derweil nähern sich Paulette, die ältere Mitbewohnerin und Morgane immer mehr an; die beiden erwägen, die frühere Pension wieder aufleben zu lassen und Morgane begibt sich an die Renovierung der Zimmer, um sie vermieten zu können, um so die Schulden, die die Erbschaft des Häuschens von Fanny mit sich brachten, etwas einzudämmen. Nebenbei hat sie ein kleines Einkommen als Übersetzerin, doch die Schulden drohen, sie mehr und mehr zu erdrücken... Die Situation spitzt sich zu, als die Schuldenberge stetig wachsen und Robert, der Vater Morgane's, von Deutschland aus das Geschick des Hauses (und das seiner Tochter) "steuern" will.... 
Morgane stellt sich mutig als Erwachsene ihrer traumatischen Kindheit und ihrer Vergangenheit; sie war erst 10 Jahre alt, als ihre Mutter starb und es stellt sich mehr und mehr heraus, dass ihre Reise in die Bretagne mit ihren uralten keltischen Sagen und Legenden, die ebenfalls in die Handlung miteinfließen, für sie eine Reise zu sich selbst wird, die ihr Leben neu ordnet und für immer verändert...Das Romanende ist fulminant und entbehrt nicht unerwarteter Wendungen: Die sympathischen Charaktere, besonders Morgane, sind glaubwürdig und authentisch mit allen menschlichen Stärken und auch Schwächen sowie einer emotionalen Tiefe stilistisch sehr schön gezeichnet. Eine meiner Lieblingsfiguren (neben Morgane, Paulette und Armel) war Filou, ein Hund, der mich mehrmals zum Lachen brachte ;)Stilistisch ist sich Bettina Storks treu geblieben: Während sich die facettenreichen Protagonisten stetig und nachvollziehbar weiterentwickeln und eine stimmige Gefühlstiefe die Figuren beschreiben, fehlt jegliches Klischee oder Trivialität. Ein weiterer Hauptprotagonist ist der Atlantik: Die Autorin beschreibt wundervoll die spezielle bretonische Landschaft und die Unberechenbarkeit und Wildheit des Meeres, das das Leben in der Bretagne seit jeher bestimmt; sie spricht auch das Problem massiver Algenbildung an und lässt Morgane ökologische Studien des Meeresinstituts in Roscoff übersetzen... 

Fazit:
Ein großes Lesevergnügen und ein stimmiger Roman, den ich absolut weiterempfehlen kann! Mich erinnerte er an ein schönes Gedicht - hier ein Auszug daraus: "..... wage den Zusammenstoß mit einem Riff und aus den Trümmern baue dir - ein neues Boot" (Margot Bickel) - das wäre auch die Quintessenz dieses wundervollen neuen Romans von Bettina Storks (für mich). Daher gibt es von mir - abgesehen von der klaren Leseempfehlung - nicht weniger als 5 Sterne am Firmament der Bücher; zudem hoffe ich, noch mehr von der Autorin lesen zu können und freue mich bereits jetzt darauf! v