Rezension

Die Stimmung ist klasse, aber der Rest?

Nacht - Elena Melodia

Nacht
von Elena Melodia

*Worum geht's?*
Nach außen hin ist Almas Leben perfekt: Sie ist wunderschön, die Anführerin der angesagtesten Clique an ihrer Schule und bei allen beliebt. Jedes Mädchen möchte mit ihrer befreundet sein, während jeder Junge mit ihr ausgehen will. Wen stört da schon ein verkorkstes Privatleben, eine kaputte Familie und ein vergangener Autounfall, bei dem die zwei besten Freundinnen umgekommen sind? Alma genießt ihre Stellung bei ihren Mitschülern, denn diese Macht ist das einzige, was ihr geblieben ist. Als sie eines Nachts von einem furchtbaren Mord träumt, ahnt sie noch nicht, dass ihre Träume die Wirklichkeit widerspiegeln. Erst als sich diese schrecklichen Albträume wiederholen, packt Alma die Angst. Wird sie jetzt wahnsinnig? Sind es die späten Nachfolgen des Unfalls? Morgan, ihr distanzierter Mitschüler, scheint als einziger Antworten auf ihre Fragen zu haben.

*Kaufgrund:*
Träume haben schon immer mein Interesse wecken können. Als ich den Klappentext von "Nacht" las, war es die Thematik, die mich neugierig machte. Ich war gespannt und freute mich auf etwas Neues, eine Geschichte fernab vom Mainstream.

*Meine Meinung:*
Während der ersten Seiten erweckt Melodia den Eindruck, als wolle sie nicht lange fackeln und möglichst wenig Zeit mit einer Einführung vergeuden. Schnell werden Almas Albträume zum Hauptthema der Geschichte und es scheint, als würde auf den Leser eine spannende und rasante Handlung zukommen. Nun, wie soll ich es anders sagen: Dies war nicht der Fall! Ja, die Geschichte schreitet sehr wohl schnell voran, aber es sind die untergeordneten Handlungsstränge, die hier das Tempo bestimmen. Almas Albträume, beziehungsweise der gesamte paranormale Hauptteil, findet kaum Beachtung. Erst nach der ersten Hälfte des Buches scheint der übernatürliche Handlungsstrang wieder an Bedeutung zu gewinnen, aber Pustekuchen! Während Alma über 200 Seiten nach einer Antwort sucht, hat man sie als Leser spätestens nach 50 schon gefunden. Melodia hat nicht viel Wert auf eine geheimnisvolle Entwicklung gelegt, denn wenn man ein bisschen mitdenkt, weiß man immer bereits vor den Charakteren, wie es weitergehen wird. Letztendlich wabert "Nacht" eher vor sich hin. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Serienstart bereits die Funktion eines "Füllerromans" in der Reihe einnehmen könnte, doch "Nacht" hat mich eines besseren belehrt. Spannung gibt es kaum, Nervenkitzel dafür umso mehr.

Neben einer offensichtlichen paranormalen Handlung beinhaltet "Nacht" in seiner düsteren und finsteren Geschichte einige ernste Themen, die nicht ohne weiteres an einem vorbeiziehen: Magersucht, Sekten, Vergewaltigung, Mord, blutige Gewalt und Wahnsinn. Melodias schonungsloser und harter Schreibstil sorgt dafür, dass diese krassen Handlungsstränge noch bedrückender, noch belastender auf uns wirken. Normalerweise habe ich kein Problem damit, wenn solch schwierige Themen in Büchern behandelt werden, im Gegenteil: Wieso sollen Autoren schreckliche Dinge, die auch in der Realität geschehen, auslassen? Trotzdem musste ich bei "Nacht" einige Male heftig schlucken. Für jüngere oder zarte Leser ist dieses Seriendebüt definitiv nicht zu empfehlen!

Von der versprochenen "Liebesgeschichte" in "Nacht" spürt man absolut nichts. Wer also hofft, hier würde eine schaurig-schöne Story auf den Leser warten, hat sich mächtig geschnitten! Morgan ist eine Figur, die der gesamten Liebesgeschichte ihren Reiz nimmt. Er ist typische Held, der Retter, der immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, um mit seiner unglaublichen Schönheit Alma selbst in den unmöglichsten Situationen zum Schmelzen bringt. Alma fühlt sich zu ihm hingezogen, vertraut ihm anstandslos. Basta. Noch Fragen? Ja? Wie er sonst so ist, was für ein Charakter hinter seiner Person steckt? Ach, solche Dinge sind doch belanglos. Es ist schließlich die große Liebe... Na klar.

Was für ein schwaches Ende! Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, was sich die Autorin dabei gedacht hat. Sie hat während des gesamten Romans unzählig viele Fragen aufgeworfen, auf die sie keine Antworten geben möchte. Nicht einmal sinnvolle Andeutungen, die uns Leser zum Grübeln animieren würden, gibt sie uns nach der letzten Seite auf den Weg. Schlussendlich sind wir also genauso schlau, wie wir es schon beim Aufschlagen des Buches waren. Nach knapp 450 Seiten nehmen wir nichts mit, außer die Bekanntschaft mit einigen verstörten und verstörenden Figuren. Noch bin ich mir unsicher, ob ich der Fortsetzung eine Chance geben werde.

Alma ist eine von jenen Protagonistinnen, auf die man sich partout nicht einlassen kann. Die unnahbare Schönheit ist sich ihrer Wirkung auf ihre Mitmenschen durchaus bewusst ist und spielt gerne damit. Den Jungs verdreht sie den Kopf, um zu bekommen, was sie will, und die Mädchen lässt sie widerliche Aufgaben erfüllen, damit diese sich ihrer Aufmerksamkeit als würdig erweisen. Alma ist die arrogante Highschool-Queen, die trotz ihres Verhaltens jeder vergöttert. Mir war sie ab der ersten Seite unsympathisch und es fiel mir dementsprechend schwer, mit ihr mitzufühlen. Da konnten selbst die schwierige Vergangenheit und das harte Schicksal, das sich Frau Melodia für ihre Protagonistin ausgedacht hat, kein Mitgefühl mehr in mir wecken. Mit den Kapiteln wurde Alma erträglicher, "normaler". Ich war schon dabei, ihr eine zweite Chance zu geben - Menschen können sich schließlich ändern! -, als sie ihre bemerkenswerte Naivität zur Schau stellte. Denn Alma hat es nicht nötig, auf die Warnungen anderer zu hören. Sie bringt sich leichtsinnig in Gefahr und lernt noch nicht einmal daraus, wenn sie sich dann in Schwierigkeiten befindet. Sie wirkt schon fast dämlich, wie sie die selben Fehler aus unerklärlichen Gründen immer wieder begeht...

Bei so einer Hauptcharakter-Pleite habe ich umso größere Hoffnungen in die Nebencharaktere gesteckt. Leider muss ich sagen, dass auch sie mich nicht gänzlich überzeugen konnten und mich eher mit gemischten Gefühlen zurückgelassen haben. Auf der einen Seite sind da die Personen aus Almas näherem Umfeld, wie etwa ihre Familie oder ihre Freundinnen. Sie sind auf jeden Fall besser gelungen als die Protagonistin. Sie sind authentischer, durch ihre Emotionen menschlicher, greifbarer. Jeder von ihnen bekommt seinen eigenen "großen Auftritt", bei dem sie auf ganzer Linie begeistern können. Von ihnen und ihren Schicksalen war ich wirklich getroffen! Auf der anderen Seite stehen der geheimnisvolle Morgan und die vorgeblichen Antagonisten. Man erfährt nichts über sie, ihre Hintergründe und ihre wahren Absichten. Eigentlich soll man sich über diejenigen, die man nicht kennt, kein Urteil erlauben, aber in diesem Fall bin ich ehrlich enttäuscht!

In einer Hinsicht hat mich die Autorin allerdings völlig von sich überrascht. Egal, wie viele Schwächen die Handlung auch aufweisen mag, durch die grandiose Atmosphäre des Romans war ich trotz allem an die Geschichte gefesselt. Elena Melodia hat geschafft, mir durch realistisch beschriebene und entsetzlich grausame Szenen einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen zu lassen. Wer eine Vorliebe für das Wahnsinnige hat, und zwar im blutigen, irren Sinne, der wird mit "Nacht" einige vergnügliche Lesestunden erleben. Zart besaitete Gemüter dagegen werden sich wie Alma mit Albträumen quälen!

*Cover:*
Das Cover ist dunkel und geheimnisvoll, so wie es "Nacht" von Elena Melodia ist. Mal wieder beweisen die Grafiker des Verlags, dass sie es schaffen, die Atmosphäre eines Buches in seinem Cover einzufangen. Reife Leistung!

*Fazit:*
"Nacht" von Elena Melodia ist ein schwieriges Buch. Die Atmosphäre kann die Leser mit Leichtigkeit in den Bann ziehen, und auch die schonungslose Art der Autorin kann überzeugen, aber ansonsten hat dieses schwache Seriendebüt leider nicht viel zu bieten. Eine unsympathische Protagonistin, eine zu durchsichtige Geschichte und zu viele offene Fragen haben meine Endbewertung stark heruntergedrückt. Leider vergebe ich nur gute 2 Sterne.