Rezension

Die Suche nach der Wahrheit

Im Dunkel deiner Seele - George Harrar

Im Dunkel deiner Seele
von George Harrar

Bewertet mit 2 Sternen

Evan Birch ist Philosophie-Professor, treusorgender Familienvater und Ehemann und führt insgesamt ein durchschnittlich-langweiliges Leben. Bis er eines Tages unter Verdacht steht, mit dem Verschwinden eines 16-jährigen Cheerleaders zu tun zu haben. Zu Beginn gibt es nur ein paar Indizien, die Evan in den Fokus der polizeilichen Ermittlungen rücken, aber spätestens als die ersten handfesten Beweise auftauchen, die ihn mit der verschwundenen Joyce Bonner in Verbindung bringen, schwindet auch das Vertrauen seiner Ehefrau und seiner Söhne...

 

Der als Thriller beworbene Titel "Im Dunkel Deiner Seele" weckte schon anhand des Klappentextes sofort mein Interesse. Im Moment habe ich gerade eine Psychothriller-Phase, und dieses Buch schien haargenau in mein derzeitiges Beuteschema zu passen.

 

Wie man es von Thrillern mit psychologischer Komponente gewohnt ist, verläuft auch hier der Einstieg in die Handlung sehr ruhig: Der Leser bekommt ausreichend Zeit, die Figuren kennenzulernen und sich eine Meinung über sie zu bilden. Dies geschieht allerdings ausschließlich aus der Perspektive von Evan, der zwar der Protagonist, aber kein Ich-Erzähler ist. Dadurch betrachtet man als Leser sämtliche Nebenfiguren - angefangen von Evans Ehefrau Ellen und den Zwillingssöhnen Adam und Zed, bis hin zu kleineren Rollen bei der Polizei oder unter Evans Arbeitskollegen - nicht neutral, sondern aus Evans subjektivem Blinkwinkel, beziehungsweise in seiner subjektiven Wahrheit. Dabei bleibt allerdings auch Evan selbst wenig greifbar, man hat durch die distanzierte Erzählweise in der dritten Person immer das Gefühl, auf Abstand gehalten zu werden. Und so ging die Saat des Zweifels an Evans Unschuld auch bei mir sehr schnell auf.

 

Obwohl die Spannung über das ganze Buch hinweg eher subtil bleibt, wurde mein Interesse durch immer mehr unerklärliche Vorkommnisse und neue Details über Evans Vorleben durchgehend wachgehalten. Die Zeichnung der Figuren überzeugt, obwohl ich nicht behaupten könnte, dass ich ihnen große Sympathien entgegengebracht habe, haben sie durch allerlei seltsame Marotten und die komplizierten Beziehungen in Evans Familie sehr viel Stoff zum Nachdenken geliefert.

 

Insgesamt dreht sich der gesamte Roman - und ich schreibe hier bewusst Roman, nicht Thriller - meiner Ansicht nach um die Frage: "Wie gut kennen wir andere Menschen wirklich?" Selbst bei Ehepartnern und Kindern, also unseren engsten Angehörigen, kennen wir letztendlich nur die Seiten, die sie uns von sich zeigen, und genauso verhält es sich hier mit den Figuren des Romans. Versinnbildlicht wird dies durch Evans zunehmende Unfähigkeit, seine beiden Söhne, eineiige Zwillinge, voneinander zu unterscheiden. Zu Beginn versucht er es zumindest noch, aber im späteren Verlauf, heißt es oft nur noch "einer der Zwillinge".

Die Frage, wie lange es dauert, und wie viel es braucht, um unser Vertrauen zu erschüttern, ist zwar ein vielversprechender Ansatz, aber George Harrars Umsetzung als "philosophischer Thriller", wie er sein Buch im Nachwort bezeichnet, konnte mich am Ende überhaupt nicht mehr überzeugen.

 

Ein Philosophie-Student sagte einmal zu mir: Die Philosophie ist nicht dafür da, Antworten zu finden, sondern immer mehr neue Fragen. Und so verhielt es sich für mich auch mit "Im Dunkel Deiner Seele", trotz des vielverspechenden Starts blieb ich am Schluss mit einem Berg unbeantworteter Fragen und jeder Menge Frustration zurück, was stark mit dem kollidiert, was ich mir von einem Thriller erwarte, wo doch in einem letzten Aha-Moment eigentlich alle Puzzleteile an ihren Platz fallen sollten.