Rezension

Die Süße. Die Sanfte. Die Zarte.

Süß -

Süß
von Ann-Kristin Tlusty

Bewertet mit 5 Sternen

Ann-Kristin Tlusty erfindet das Rad in dieser feministischen Kritik gewiss nicht neu. Tlusty hinterfragt den Potenzfeminismus und warum es nicht einfach ausreicht sich zu „empowern“, denn eine gläserne Decke (und manchmal sogar Wände) verhindert, dass Frauen in höhere Sphären von gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Macht aufsteigen können. Ok, kennt man schon.

Neu und interessant war aber die eingeteilte Betrachtung von süßen, sanften und zarten Frauen. Die süße Frau passt sich auf Kosten ihrer eigenen Bedürfnisse denen ihrer Umwelt an aus Angst zu enttäuschen und lässt sich dabei zu Dingen verleiten und überreden, die nicht in ihrem persönlichen Sinne sind. Die sanfte Frau schultert die Sorgen und das Leid der übrigen Welt auf ihre Schultern und übernimmt den Großteil unbezahlter (teils ungewürdigter) Care-Arbeit zusätzlich zu einer bezahlten Tätigkeit. Die zarte Frau ist jene mit ambivalenten Seiten: Sie ist in feministischer Hinsicht durchaus gebildet und weist dennoch Rudimente einer veralteten Epoche auf, nach denen sie unschuldig, lieblich und damit harmlos und abhängig scheint.

Tlusty hat für jede dieser Seiten Beispiele, anhand derer sie differenziert aufzeigt, dass auch die größten Feministinnen immer wieder in erlernte Skripte davon zurückfallen, was gesellschaftlich als Frau-sein angesehen wird. Freitag.de artikelte dazu passend, „Warum also emanzipierte Frauen plötzlich flirty und süß auftreten, obwohl sie dies unangenehm finden“.

Tlusty argumentiert aber nicht mit der Abschaffung des Süßen, des Zarten und des Sanften, sondern plädiert für eine offenere Gesellschaft, in welcher diese Komponenten auch für Männer, Non-Binäre und alles dazwischen optional sind und sich niemand mehr in erwarteten Rollenbildern bewegen sollte.

 

Trotz des zuckrigen Titels schreibt Ann-Katrin Tlusty sehr sachlich; allzu viel Sarkasmus, wie in manchen anderen Büchern, die ich bisher gelesen habe, bin ich hier nicht begegnet. Es ist tatsächlich mehr eine Kritik und weniger eine Streitschrift, regt zum Reflektieren an und ist somit durchaus lesenswert.