Rezension

Die Vergangenheit streckt ihre Finger nach der Gegenwart aus

Der lange Atem der Vergangenheit - Val McDermid

Der lange Atem der Vergangenheit
von Val McDermid

Es sind verschiedene Handlungsstränge, die die schottische Erfolgsautorin Val McDermid in souveräner Weise in ihrem neuesten Roman/Thriller „Der lange Atem der Vergangenheit“ verarbeitet:

Alles beginnt in Edinburgh. Hier findet ein Bauarbeiter in der Turmspitze eines heruntergekommenen Hauses einen skelettierten Leichnam - ein Fall für DCI Karen Pirie und DC Jason Murray, die Spezialisten der Abteilung für ungelöste Fälle. Die Ermittlung der Todesursache ist kein Problem, da der Schädel ein Einschussloch aufweist.  Ein größeres Problem ist die Feststellung der Identität, denn es gibt keine eindeutigen Hinweise. Ermittlung in kleinen Schritten unter Einbeziehung jeden Hinweises ist angesagt.

In der Universitätsstadt Oxford lebt die Professorin Maggie Blake, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Geopolitik. Während der Jugoslawien-Kriege in den neunziger Jahren ist sie längere Zeit vor Ort in Dubrovnik und hält dort im kleinen Rahmen  Vorlesungen zu ihrem Spezialgebiet. Sie verliebt sich in „Mitja“ Petrovic, einen kroatischen General, der für den militärischen Geheimdienst arbeitet. Sie sind trotz der widrigen Umstände glücklich miteinander und kehren gemeinsam nach England zurück. Aber dann verschwindet Mitja plötzlich von heute auf morgen - ohne Ankündigung, ohne Nachricht, einfach weg. Maggie ist am Boden zerstört, aber glücklicherweise kümmert sich ihre alte Freundin Tessa, eine Anwältin für Menschenrechte, in dieser schweren Zeit um sie.

Alan Macanespie und Theo Proctor arbeiten für den Internationalen Gerichtshof in Den Haag und sorgen dafür, dass jugoslawischen Kriegsverbrechern der Prozess gemacht wird. Das ist aber zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht so einfach, da diese, noch bevor sie vor Gericht gestellt werden können, von einem Unbekannten ermordet werden.

Diese Handlungsstränge werden aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt und wechseln kontinuierlich durch. Unterbrechungen gibt es immer wieder durch Maggie Blakes Tagebucheinträge, in denen sie zum einen ihre Zeit und Beziehung mit  Mitja, ihrem spurlos verschwundenen Geliebten, zum anderen ihre Erlebnisse während des jugoslawischen Bürgerkriegs schildert. Gerade diese Passagen sind sehr eindrucksvoll beschrieben und zeigen die persönlichen Verstrickungen aller Beteiligten in diesem ethnischen Konflikt, in dem Hass und Gewalt den Alltag bestimmen und ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht Unschuldige ihr Leben lassen müssen. Und hier stellt sich natürlich die Frage, ob erlittenes Leid, den Wunsch nach Rache und Vergeltung legitimiert.

Val McDermid zieht aber auch sehr geschickt Parallelen zu den Verhältnissen in Großbritannien. Ob das nun die Animositäten zwischen Schotten und Walisern (verkörpert durch Alan Macanespie und Theo Proctor), oder die Bestrebungen zur Souveränität Schottlands sind - demokratische Gesellschaften sollten immer wieder Mittel und Wege finden, um solche Konflikte  friedlich und ohne Blutvergießen zu lösen.

DCI Karen Pirie und ihr Partner Jason Murray (die permanente Wiederholung seines Spitznamens “Minzdrops“ fand ich übrigens ausgesprochen nervig) halten die Story zusammen, denn ihre Ermittlungen beziehen nach und nach die verschiedenen Handlungsstränge ein und fügen sie am Ende zu einem Gesamtbild zusammen, das sämtliche offenen Fragen beantwortet.

„Der lange Atem der Vergangenheit“ ist nicht nur ein spannender Roman, sondern beeindruckt auch durch differenzierte Charakterzeichnungen sowie realistische Schilderungen der Auseinandersetzungen in Ex-Jugoslawien. Lesen!