Rezension

Die Zurückgebrachte

Arminuta - Donatella Di Pietrantonio

Arminuta
von Donatella Di Pietrantonio

Bewertet mit 4 Sternen

Früher als Kind habe ich mich manchmal gefragt, ob ich wohl wirklich das Kind meiner Eltern sei. Meistens dann, wenn ich mich so gar nicht verstanden gefühlt habe oder es wegen irgendeiner Sache Ärger gegeben hatte. Manchmal habe ich mir vorgestellt, davon zu laufen, um die Eltern zu strafen. Aber ich habe mir nie vorgestellt, dass die Eltern mich einfach so abgeben könnten. Oder zurückgeben. Wie muss das sein, plötzlich aus seiner gewohnten Umgebung heraus gerissen und in eine Familie gesetzt zu werden, in die du zwar geboren wurdest, aber in der du nicht aufgewachsen bist, sondern 12 Jahre zu einer anderen Frau Mama und zu einem anderen Mann Papa gesagt und gemeint hast, keine Geschwister hattest und nur ein Leben ohne Mangel mit viel Liebe gekannt hast?

Donatella di Pietrantonio erzählt genau von dieser Begebenheit. Ein Mädchen wird in seine leibliche Familie zurückgegeben, ohne dass ihr die wahren Beweggründe der Erwachsenen dazu offenbart werden. Sie hat neue alte Eltern und viele neue Brüder, eine kleine Schwester und ein Leben auf dem Dorf, in dem die Uhren längst nicht so schnell schlagen, wie in der Stadt. Arminuta wird sie genannt, die Zurückgekommene. Einen anderen Namen wird sie im Buch nicht von sich preisgeben. Sie erzählt ihre Geschichte selbst und rührt unsagbar an, weil sie in ihrer wohlerzogenen, gebildeten Naivität lange Zeit als einzige nicht durchschaut, was vor sich ging, während selbst die kleine Schwester und wahrscheinlich alle im Dorf die Wahrheit wussten oder zumindest ahnten. Der Leser fühlt sich genauso dumm wie sie, und hilflos, verlassen, überfordert. Es ist eine eindringliche Erzählsprache, die von einem einfachen, harten Familienleben erzählt, wie wir es uns heute nicht mehr vorstellen können. Es ist auch eine Geschichte, die davon berichtet, wie sehr die Familie dafür sorgt, welchen Weg du einschlagen kannst oder eben nicht, welche Zugänge dir verwehrt bleiben, weil dir niemand Mut zuspricht oder es sich die Eltern schlicht nicht leisten können, die Kinder auf eine gute Schule zu schicken. Wenn nicht einmal jede Mahlzeit sicher ist, wenn die Fürsorge sich allein darauf ausrichtet, dass alle zum Unterhalt beizutragen haben. Diese Geschichte wirbelt alle bekannten Faktoren von Familie, Liebe, Zugehörigkeit, Verantwortung, Fürsorge, Nächstenliebe und der Suche nach dem eigenen Platz im Leben ordentlich durcheinander, so dass es einem beim Lesen manchmal die Sprache verschlägt oder die Luft abschnürt. Vielleicht liegt es auch an diesem besonderen italienischen Erzählstil, der sich so anders ausmacht gegenüber dem deutschsprachigen Erzählen, ohne dass ich genau sagen könnte, wo die Unterschiede liegen. Es ist ein berührendes, lange nachklingendes Buch, dass auf seinen nur 220 Seiten in poetischer Leichtigkeit soviel Tiefe und Komplexität zusammenbringt, wie es sonst nur 800 Seitenwälzer schaffen.