Rezension

Dramatische Suche nach dem Bruder

Sie mussten nach links gehen -

Sie mussten nach links gehen
von Monica Hesse

Bewertet mit 5 Sternen

„Sie mussten nach links gehen“ („They went left“) thematisiert das Leben der „Displaced Persons“ in Deutschland direkt nach Kriegsende.

Der Titel spielt auf Auschwitz an. Dort verliert die Romanheldin, Zofia Lederman, große Teile ihrer Familie. Ihr widerfährt, was ungeheuerlich klingt und doch wirklich passiert ist: Die Nazis schickten Juden, die sie für Zwangsarbeit brauchen konnten, nach rechts, darunter Zofia und ihren Bruder Abek. Alle anderen schickten sie nach links, darunter die Eltern, die Großmutter, die Tante. Sie werden umgebracht, vergast mit Zyklon B.

Zofia überlebt den Holocaust im Konzentrationslager Groß Gosen und kennt nur ein Ziel: Sie will ihren Bruder wiederfinden, den sie aus den Augen verloren hat. Schwer traumatisiert von der Gewalt, die sie erlitten hat und deren Zeugin sie geworden ist, macht sie sich auf den Weg von ihrer polnischen Heimatstadt Sosnowiec nach Föhrenwald, nachdem sie den Hinweis bekommen hat, dass ihr Bruder dort vielleicht gelandet sein könnte – wenn er denn noch lebt.

An der Isar lernt Zofia viele kennen Leidensgenossen kennen – und deren teils tragischen Schicksale. Etwa Miriam, die verzweifelt nach ihrer Zwillingsschwester fahndet: Sie mussten gemeinsam Menschenversuche über sich ergehen lassen. Außerdem freundet sie sich mit Breine an, die beschlossen hat, ein glücklicher Mensch zu werden und zu heiraten. Sie alle gehen freundlich und fürsorglich miteinander um, fast, als wollten sie die Menschlichkeit neu lernen.

Doch nicht jeder vermag einen Schlussstrich zu ziehen. So wird im Buch der Suizid einer Frau namens Bissel beschrieben, die das KZ Ravensbrück überlebt hat und immer erzählt, wie sehr sie sich auf das Wiedersehen mit ihrer Tochter freut. „Eines Morgens setzte sie sich auf die Fensterbank, lachte die ganze Zeit und stürzte sich plötzlich hinaus. Wir hörten die Schreie der Passanten, als ihr Körper auf dem Gehsteig aufschlug.“ Ein realistisches Detail, Selbstmorde kamen in Föhrenwald regelmäßig vor.

Und dann wäre da noch der schweigsame Josef, in den sich Zofia verliebt. Wie diese Liebesgeschichte ausgeht und ob sie ihren Bruder wirklich findet, soll an dieser Stelle offen bleiben. Nur so viel: Die Lösung des Rätsels ist tragisch.

Die Autorin Monica Hesse ist Journalistin bei der Washington Post und hat mit ihrem Roman „Das Mädchen im blauen Mantel“ renommierte Preise gewonnen. Für „Sie musste nach links gehen“ hat sie viel recherchiert, wie sie im abschließenden Kapitel berichtet. So hat Hesse in Amerika mit Zeitzeugen gesprochen, etwa dem Lagerleiter Henry Cohen.

Doch auch so ist ein Roman entstanden, der Jugendliche wie Erwachsene gekonnt an ein ernstes, schwieriges Thema heranführt. Die Nachkriegsatmosphäre in Deutschland ist greifbar, die Figuren sind fein gezeichnet, die Traumatisierung der Hauptfigur glaubwürdig. Ob jedes historische Detail stimmt, mag dahin gestellt bleiben. Das Lager Föhrenwald existierte zwölf Jahre lang.