Rezension

Drei Frauen auf Reisen

The Woman on the Orient Express
von Lindsay Jayne Ashford

Bewertet mit 5 Sternen

~~1928. Die bekannte Schriftstellerin Agatha Christie entscheidet sich kurzfristig, eine Reise nach Bagdad mit dem Orient Express anzutreten, um am Hochzeitstermin ihres geschiedenen Mannes Archie mit seiner Geliebten außer Landes zu sein und die für sie persönlich größte Schmach in ihrem Leben hinter sich zu lassen. Für die Reise hat Agatha sich ein Inkognito gegeben und reist mit neuer Haarfarbe und Brille, um nicht erkannt zu werden. Gleich in den ersten Stunden im Zug lernt sie erst die Zeichnerin Katherine Woolley kennen, die auf dem Weg zu einer Ausgrabungsstätte in Ur ist, um dort die ausgegrabenen Fundstücke aufs Papier zu bringen. Mit ihr wird sich Agatha bis zur Ankunft die Kabine teilen. Auch eine andere Mitfahrerin erweckt ihre Aufmerksamkeit, denn als die junge Nancy Nelson mitten in der Nacht aus dem Zug springen will, rettet Agatha sie in letzter Minute und ab diesem Moment ist Nancy ein Teil des Frauentrios. Alle drei Frauen laufen insgeheim vor etwas davon und verkürzen sich die Reisezeit mit Besichtigungen, Ausflügen und Einkaufen. Erst nach und nach werden die Gründe für die Flucht der einzelnen Frauen ersichtlich.
Lindsey Jayne Ashford hat mit ihrem Buch „Die Frau im Orient-Express“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der einige autobiografische Züge enthält und als Hintergrund den luxuriösen Orient-Express sowie Ziele wie aus tausend und einer Nacht beinhaltet. Der Schreibstil ist flüssig und ohne Schnörkel. Der Leser wird schnell zum blinden Passagier auf einem legendären Zug und während die Reise durch viele verschiedene Länder und geheimnisvolle Städte geht, erfährt er von den Schicksalen, Sorgen und Gedanken der einzelnen Frauen, wobei das Hauptaugenmerk natürlich auf Agatha Christie liegt. Die Autorin hat über die bekannte Schriftstellerin und ihr Privatleben sehr gut recherchiert und dies innerhalb des Romans schön verpackt, so dass der Leser während der Lektüre immer mehr von ihr erfährt. Auch Katherine Woolley war eine recht bekannte Person ihrer Zeit, von deren Leben man ebenfalls einige Informationen erhält. Die Reisebeschreibung und die verschiedenen Ausflugsorte sind sehr schön beschrieben, sie geben der Handlung einen gelungenen Rahmen für das Kennenlernen und die gemeinsame Zeit der drei Frauen.
Die Charaktere sind schön ausgestaltet und wirken sehr lebendig und authentisch. Agatha Christie ist eine sympathische Frau, die immer noch sehr unter der Scheidung, der Untreue und Gleichgültigkeit ihres Ex-Mannes Archie leidet. Sie wirkt oftmals unsicher und quält sich mit Gedanken, was sie hätte anders machen können. Dabei ist sie eigentlich eine gestandene Frau, die sich durch ihr schriftstellerisches Talent eine Karriere aufgebaut hat. Allerdings hat sie durch ihr plötzliches Verschwinden über 11 Tage nach dem Aufdecken der Affäre ihres Mannes auch für einiges Aufsehen in der Presse gesorgt, was ihr gar nicht recht war. Sie beginnt mit der Reise ihre Flucht in ein neues eigenständiges Leben. Katherine Woolley ist ebenfalls eine reale Persönlichkeit, eine recht extrovertierte Frau, die sich in einer Männerdomäne behaupten muss und kann. Sie bevormundet recht gern und alles muss nach ihrem Kopf gehen. Dabei macht sie das meist recht charmant, so dass die anderen gar nicht anders können, als sich von ihr gängeln zu lassen. Dabei hat sie selbst ein Geheimnis und Angst vor dem Schritt, der ihr bevorsteht. Nancy ist ein fiktiver Charakter, eine junge Frau, die erst sehr kurz verheiratet ist, sich aber schon von ihrem untreuen Ehemann getrennt hat und einen Liebhaber gefunden hat, der leider selbst Familie hat. Sie tritt eine Reise ins Ungewisse an und hofft, bei einer Verwandten Unterschlupf zu finden. Nancy wirkt noch sehr naiv und ängstlich, die Gesellschaft von Agatha und Katherine hilft ihr, etwas mehr aus sich herauszukommen und ihre missliche Lage für einige Zeit zu verdrängen.
„Die Frau im Orient-Express“ ist ein sehr unterhaltsamer historischer Roman, der dem Leser Agatha Christie als Mensch sehr nah bringt und sich wunderbar wie ein toller Reisebericht mit Einblick in das Seelenleben der einzelnen Protagonistinnen lesen lässt. Absolute Leseempfehlung für ein Buch über verlorene Lieben, Freundschaft und die Suche nach sich selbst.