Rezension

Drei Frauen - drei Epochen

Drei Wege - Julia Zejn

Drei Wege
von Julia Zejn

Bewertet mit 5 Sternen

Das Titelbild zeigt drei Frauen aus drei charakteristischen Epochen der deutschen Geschichte. Ihre Schicksale werden zunächst einzeln erzählt, später überlappen sich ihre Lebensläufe in Wort und Bild.

1918 kommt Ida aus der Nähe von Neuruppin als Hausmädchen in eine gutsituierte bürgerliche Familie in Berlin. Der Hausherr wurde im Ersten Weltkrieg als Militärarzt in Frankreich verwundet und wird von Frau und Kindern bald zurück erwartet. Nur weil er verwundet ist, steht dem Haushalt überhaupt ein Hausmädchen zu; denn alle Frauen werden für kriegswichtige Arbeiten benötigt. Die drei kleinen Söhne wirken Ida gegenüber auffallend höflich erzogen; das war „Personal“ gegenüber zu der Zeit ganz und gar nicht selbstverständlich. Die „gnädige Frau“ – preussisch korrekt, aufrecht, in hochgeschlossener Bluse, wirkt allein schon durch ihre Körperhaltung so beherrscht wie herrisch.

1968 arbeitet Marlies als Bedienung in einem Berliner Café und kann sich gegen ihre Eltern nicht mit dem Wunsch durchsetzen, eine Ausbildung zu machen. Frauen heiraten ja sowieso …  Als Marlies einen Literaturstudenten aus wohlhabendem Haus kennenlernt, treffen zwei Welten aufeinander, das Berlin der Studentenunruhen und der Marxismus-Theoretiker gegenüber Marlies Unfähigkeit, für sich zu entscheiden und den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Für Wolfgang ist der „Nebenwiderspruch“ der fehlenden Gleichberechtigung der Geschlechter streng nach Marx ein Nebenwiderspruch. Sind erst die Arbeiter befreit, wird sich das Problem der Frauen von allein lösen, redet "man" sich damals heraus.

In der Gegenwart im Jahr 2018 könnten drei Abiturienten nach dem Stress ihres Schulabschlusses theoretisch aufatmen. Doch der Druck ihrer Eltern, sich bald für einen Berufsweg zu entscheiden, macht ihnen genau diese Entscheidung schwer. Anders als Ida, die arbeiten musste, um überhaupt etwas zu essen zu haben und Marlies, die bis zum 21. Lebensjahr den Eltern zu gehorchen und ihnen Geld zum Haushalt zu zahlen hatte, kann diese Frauen-Generation ihren Lebensentwurf wählen. Du kannst heute als (muslimische) Frau alles tun, was du willst, mahnt Finn seine Altersgenossin Selin. Weißt du das überhaupt zu schätzen?, ließe sich der Satz fortsetzen. Die Frage liegt nahe, ob Alinas und Selins Generation heute aus Bequemlichkeit Positionen wieder aufgibt, die Marlies Generation erkämpfte und die kein unangreifbarer Besitzstand sind. Eine verständnisvolle Buchhändlerin empfiehlt zur Orientierung Fromms „Haben oder Sein“ und schlägt damit einen Bogen zur vorhergehenden Generation, die sich diese Frage bereits gestellt hatte.

Als die drei Handlungsfäden auf einer Doppelseite aufeinander treffen, illustriert diese Begegnung die unterschiedlichen Lebensentwürfe: Ida betreut fremde Kinder und hat sich die Arbeit nicht unbedingt ausgesucht, Marlies wird durch das Beispiel ihrer berufslosen, verheirateten Schwester darin bestärkt, dass sie ihr Leben anders gestalten will und Alina fehlt bisher noch jedes persönliche Ziel. Unterschieden durch die Hintergrundfarbe treffen in einem Tableau Frauen aus drei Epochen aufeinander, deren Körperhaltung ihren Platz im Leben ausdrücken könnte. Auf der folgenden Seite radeln die drei jeweils auf einem zeitlos wirkenden Rad über das Berliner Pflaster … es könnte das Pflaster von 1918 sein, über das Ida damals von der S-Bahn zu ihrer Arbeitsstelle ging … Zwischen den Figuren besteht eine persönliche Verbindung, die sich auf den letzten Seiten erschließt.

Fazit

Julia Zejn setzt vor einen von ihr recherchierten historischen Hintergrund drei Frauen aus drei Epochen. Die charakteristischen Eigenheiten jeder Generation arbeitet sie durch die Körperhaltung und die Kommunikation zwischen ihren Figuren eindrucksvoller heraus als es manchem historischen Roman gelingt.