Rezension

Ehebruch in Irland...

Die Lieben der Melody Shee
von Donal Ryan

Bewertet mit 3 Sternen

Die eindringliche Erzählung kann anfangs überzeugen, zerfasert aber ab der Mitte und ließ mich am Ende hängen...

Als Melodys Mann sich nach zwei Fehlgeburten heimlich sterilisieren lässt, beantwortet sie diesen Vertrauensbruch mit einer Affäre und wird schwanger – von einem ihrer Schüler. Das hat Konsequenzen im erzkatholischen Irland. Melody schwankt zwischen dem stillen Glück, das das werdende Leben in ihr auslöst, und der Schuld, die sie mit seiner Entstehung auf sich geladen hat. Doch die Entscheidung, die sie letztlich trifft, ist so unkonventionell wie mutig. 

Der Hörer lauscht bei diesem Roman den Tagebucheintragungen der Melody Shee, die etwa in der 12. Schwangerschaftswoche beginnen. Schnell wird klar: da ist ein Mensch in Not, denn Melody denkt darüber nach, sich das Leben zu nehmen. Und das obwohl sie doch schwanger ist - endlich. 

Doch so einfach ist das nicht, denn sie ist nicht schwanger von ihrem Ehemann, der sich ohne ihr Wissen hat sterilisieren lassen, sondern von einem ihrer Schüler, 17 Jahre jung - und ein Traveller. Im erzkatholischen Irland ist Ehebruch eine Todsünde, und so verlässt Melodys Ehemann sie umgehend, sobald er von ihrer Schwangerschaft erfährt.

Allein in ihrem Haus, widmet sich Melody ihren Erinnerungen, Gefühlen, Gedanken, die sich in den wöchentlichen Tagebucheintragungen manifestieren. So erhält man beim Hören nach und nach Einblicke in die Jahre ihrer Ehe - der Ehebruch war nur der traurige Schlusspunkt, verkorkst war die Ehe schon zuvor. 

Die rigiden gesellschaftlich-kirchlichen Moralvorstellungen schnüren einem schon beim Hören teilweise die Luft ab, zumal Frauen davon (wieder einmal) stärker betroffen zu sein scheinen als Männer. Melody ist in ihrem Ort nun eine Geächtete, und selbst wenn sie in ihrer Wut einmal die Verfehlungen ihres Mannes herausschreit, ändert das nichts an ihrer eigenen Position.

Der Vater des ungeborenen Kindes tritt hier nicht selbst in Erscheinung - er ist mit einigen anderen Männern seiner Sippe des fahrenden Volkes unterwegs, um Arbeit zu verrichten, ungewiss, wann er wiederkommen wird. Aber Melody lernt ein junges Mädchen derselben Sippe kennen, die wie sie selbst eine Geächtete ist - in ihrer eigenen Familie. Die zwei einsamen Seelen nähern sich an, tun sich gut, bis...

Etwa die Hälfte des Hörbuchs empfand ich als sehr eindringlich, da es sich hier v.a. um die Ehe, die Kindheit und die aktuelle Situation der Melody Shee dreht. Einsamkeit, Traurigkeit, Wut, Schuldgefühle, Angst - all das ist nahezu greifbar, dicht und eindringlich geschildert. 

Ab der Hälfte des Hörbuchs jedoch richtet sich das Geschehen mehr und mehr nach außen. Melodys Vater spielt hier ebenso eine Rolle wie die junge Travellerin mit ihrer Familienfehde. Dadurch zerfaserst die Erzählung zunehmend, und am Ende wird der Hörer schließlich komplett hängen gelassen. Es ist nicht klar, wie es weitergeht - mit der Schwangerschaft, mit dem Mädchen, mit Melody selbst.

Keine einfache Erzählung. Vor allem anfangs beklemmend und düster, später ein wenig von Hoffnung durchzogen, die jedoch trügerisch zu sein scheint. Familienfehden, Todsünden, ein enges gesellschaftliches Korsett, Lebensträume und Enttäuschungen, Schuldgefühle - eine ganze Ansammlung schwerer Themen, die jedoch in einem eher nüchternen, fast lakonischen Schreibstil präsentiert werden. Donal Ryan muss man in jedem Fall attestieren, sich hervorragend in die Lage der Melody Shee versetzen zu können - kaum zu glauben, dass diese Zeilen von einem Mann geschrieben wurden...

Ilknur Bahadir liest die ungekürzte Fassung (7 Stunden und 9 Minuten) dem ruhigen Schreibstil entsprechend unaufgeregt und eher bedächtig, was mir gut gefallen hat.

Da mich das Hörbuch nur zur Hälfte wirklich überzeugen konnte, gibt es hier von mir nur gute 3 Sterne.

 

© Parden