Rezension

Ein bedeutungsvoller Sommer für Deutschland

Der Sommer danach -

Der Sommer danach
von Elisabeth Büchle

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Titel, der gleichzeitig zu der Frage führt, um welchen Sommer es sich handeln mag und was sich zuvor ereignet haben könnte. Ein Titel der neugierig macht und bereits nach wenigen Seiten enthüllt, um welchen Zeitrahmen es sich handelt: um die Sommermonate, die dem Ende des Zweiten Weltkriegs folgen. Eine Zeit, die dem normalen und gewohnten Jahreszeitenwechsel entspricht und doch auch eine Zeit des Neubeginns, aufbauend auf den Trümmern der vergangenen Kriegsjahre.

In einem sehr persönlichen Vorwort der Autorin eröffnen sich ihre Beweggründe für die Thematik eines hervorragend recherchierten Romans, wobei man sich in vielen Ausführungen mit eigenen Gedanken und Fragen wiederfindet.

Der Roman beginnt zwar in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts, in dem die weit über 90jährige Karla ihre Mitte Zwanzigjährige Urenkelin Lisa zu einem Ausflug in das heutige Berlin einlädt. Um sie dann an ihren ganz persönlichen Erfahrungen in jenem Sommer teilhaben zu lassen, ein Stück ge- und erlebte Familiengeschichte.

Karla ist als junge Frau nach Kriegsende in Berlin auf der Suche nach ihren beiden Brüdern, wobei Konrad, der Ältere, als Pilot eines Kampfflugzeugs während des Krieges spurlos verschwunden ist und von dem kleinen Mattis, ebenfalls wie sie, ihre Mutter und Schwester, Opfer von Sippenhaft, keine Spur zu finden ist.

Gerettet aus einer lebensbedrohlichen Situation, verursacht durch einen russischen Soldaten, eröffnet sich für Karla die Möglichkeit, als Dolmetscherin für die englische Delegation an der s.g. Berliner Konferenz der Alliierten im Potsdamer Schloss Cecilienhof teilzunehmen.

Getragen von dieser realen Rahmenhandlung der Berliner Konferenz gelingt es der Autorin vor allem mit Hilfe der Charaktere von Karla, dem englischen Ingenieur Ray und Joan, ebenfalls Engländerin und zuständig für die Betreuung der englischen Delegation, bald 80 Jahre nach Kriegsende diesen bedeutsamen Sommer 1945 neu mit Leben zu füllen.

Auch wenn der Fokus auf den Vorbereitungen, der Durchführung und dem Ergebnis dieser Konferenz liegen, so finden weitere Aspekte des geschilderten Zeitabschnitts und auch der vorhergehenden Kriegsjahre eine teilweise beklemmende Berücksichtigung:

Ray, der noch immer unter den Erlebnissen im Zusammenhang mit der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen leidet und allen Deutschen mehr als kritisch gegenübersteht. Joan, überaus geschickt im Zusammentragen von Informationen, die von nicht unerheblicher Bedeutung für die eigene Delegation sind. Und Karla, die nicht nur die Hinrichtung ihres Vaters und die anschließende, teilweise lebensbedrohliche, Sippenhaft verarbeiten muss sondern sich auch immer wieder mit den Vorurteilen von Deutschen ihr, der Tochter eines "Verräters" gegenüber, konfrontiert sieht.

Insbesondere mit Hilfe der Charaktere von Karla und Joan wird die Bedeutung und der Verlauf dieser für das gesamte Deutschland bzw. die Bevölkerung überaus wichtige Konferenz sehr transparent, authentisch, vor allem aber überaus verständlich und nachvollziehbar dargestellt. Nicht nur, dass die Erwartungen, Forderungen und auch Befindlichkeiten der einzelnen Siegermächte durch eine unerwartet leichte und doch auf Grund des vermittelten Inhalts umso beklemmendere Schreibweise in ihren Bann ziehen – auch wenn die realen Ereignisse bereits Jahrzehnte zurückliegen! Sondern es fällt auch sehr leicht, sich mit den Gedanken, Fragen und Diskussionsbeiträgen von Karla beim Lesen zu identifizieren. Da erhält so manche ganz persönliche Frage im Roman überraschenderweise eine überzeugende Antwort, wobei die hervorragenden Recherchen der Autorin der gesamten Handlung Glaubwürdigkeit verleihen.

Erwähnenswert ist allerdings auch die Charakterisierung der wichtigsten realen Konferenzteilnehmer: Churchill, Truman und Stalin. Wobei auch die in diesem Zeitrahmen stattfindenden Wahlen in England, die letztendlich zum Sieg von Attlee führten, gerade im Hinblick auf die Persönlichkeit Churchills mit sehr großem Einfühlungsvermögen und Verständnis eine ganz besondere Berücksichtigung finden.

Ein Roman, der nicht nur zu einem spannenden Ausflug in eine fiktive Romanhandlung, sondern auf eine sehr verständliche, aber ebenfalls spannende Weise die ganze Dimension dieser Konferenz für Deutschland aufzeigt.

Nie war Politik so interessant und spannend – dank der hervorragenden und überzeugenden Kombination mit einer fesselnden Romanhandlung.

Ein großer Dank an die Autorin für eine aufschlussreiche und sehr informative Geschichtsstunde. Mit Hintergrundinformationen, die auf umfangreiche Recherchen schließen lassen.