Rezension

Ein Blick in deutsche Gerichtssäle

Schuld und Menschlichkeit - Constantin Himmelried

Schuld und Menschlichkeit
von Constantin Himmelried

Bewertet mit 3 Sternen

Ein Mann wird am hellichten Tag auf einem Supermarktparkplatz mit neun Schüssen ins Gesicht getötet. Beim Eintreffen der Polizei steht der Täter noch immer regungslos vor dem Auto. Er lässt sich problemlos festnehmen. Das Gericht verhängt sechs Jahre Haft. Die Presse kommt dann mit Schlagzeilen wie „Nur sechs Jahre Haft für den kaltblütigen Parkplatzkiller“ daher. Doch was ist tatsächlich geschehen? Welches Schicksal steckt hinter diesem Fall, der der Öffentlichkeit nur stückchenweise präsentiert wurde?

Als ich dieses Buch bei BloggdeinBuch gesehen hatte, musste ich es unbedingt haben. Angepriesen wird Schuld und Menschlichkeit damit, dass Constantin Himmelried die Geschichte hinter der Geschichte erzählt. Das war wohl ausschlaggebend dafür, dass ich hier unbedingt rein lesen wollte.

Mit einem sehr einfachen und kurz gehaltenen Schreibstil berichtet Himmelried von insgesamt vier Schicksalen, die sich ganz anders darstellen, als sie auf den ersten Blick scheinen. Da wäre zum einen der oben genannte Parkplatzkiller. Er tritt neben den Toastdieb, einen Mann, der nach mehreren Jahren Haft endlich entlassen werden sollte und dabei versuchte, Toastpackungen hinaus zu schmuggeln. Doch warum sollte jemand so etwas machen? Da wird natürlich schnell ein Drogenschmuggel vermutet. Oder wie kommt es, dass ein Schleuser, der acht koreanischen Frauen ins Bundesgebiet verholfen hat, plötzlich eine dermaßen milde Strafe bekommen hat.

Obwohl in Strafprozessen der Grundsatz der Öffentlichkeit gilt, bekommt man als Ottonormalverbraucher immer nur einen Bruchteil eines Prozesses mit. Große deutsche Tageszeitungen werfen gerne mit effektheischenden Überschriften um sich, denn immerhin verkauft sich sowas gut. Das einzelne Schicksal muss dabei dahinter zurück stehen.

Constantin Himmelried hat sich hier vier wirklich unterschiedliche Schicksal herausgepickt und diese auf einzigartige Art und Weise dargestellt. Seine Sätze sind kurz und verzichten auf unnötigen Schnickschnack. Er nimmt sich als Autor sehr heraus und lässt vielmehr den Inhalt für sich sprechen. Die Wahl der ausgesuchten Fälle fand ich ebenfalls sehr gut. Man befindet sich nicht nur im Gerichtssaal, sondern erhält außerdem einen Einblick in den Alltag in einer JVA.

Allerdings gibt es zwei große Punkte, die mein Lesevergnügen irgendwie doch sehr getrübt haben. Im Buch wird darauf hingewiesen, dass alle Fälle auf wahren Begebenheiten beruhen, allerdings Namen und Orte zum Schutz der Beteilgten geändert wurden. Soweit, so gut…. Allerdings hätte ich vielleicht erwartet, dass darauf etwas näher eingegangen wird. Leider findet sich sonst gar nichts. Keine Hinweise darauf, warum diese Fälle gewählt wurden oder möglicherweise auch Hinweise auf echte Zeitungsartikel. Ein Vor- oder Nachwort wäre da ganz schön gewesen.

Es gab auch keinerlei Informationen zum Autor. Woher nimmt er sein Wissen über unser Rechtssystem und auch über das Leben in einer Haftanstalt? Im Internet fand ich dann den Hinweis, dass Constantin Himmelried Rechtswissenschaften studiert hatte. Nur leider kein Hinweis darauf, ob Herr Himmelried auch in diesem Bereich gearbeitet hat und was genau er machte. Meiner Meinung ist das bei Büchern dieser Art aber schon wünschenswert. Es hilft auch einfach der Glaubwürdigkeit.

Vielleicht bin ich auch mit den falschen Erwartungen an das Buch heran gegangen. Die Produktbeschreibung bei BloggdeinBuch hatte bei mir irgendwie den Eindruck erweckt, als würde man als Leser einen richtigen Eindruck in unser Rechtssystem erhalten. Wenn man anfängt Jura zu studieren oder als Jurist arbeitet, kommt man über kurz oder lang immer mal wieder in Diskussionen rein, in denen es um die „Ungerechtigkeiten“ unseres Rechtssystem geht. Irgendein Vergewaltiger erhält eine scheinbar zu milde Strafe oder Ulli Hoeneß wandert durch die Schlagzeilen, weil er nicht im Knast, sondern in einem Hotel war. Das ist nun eine ganz persönliche Meinung, doch ich stehe hinter unserem Rechtssystem, auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin.

Allgemein scheint es wohl so, dass das deutsche Rechtssystem nicht gerade die beste Meinung genießt. Und das leider nur, weil überall gefährliches Halbwissen umgeht. Daher kann ich die Motivation von Constantin Himmelried, auch Laien mal einen Einblick zu verschaffen, nur gut heißen. Aber an manchen Stellen hatte ich leider das Gefühl, als würde er diesem schlechten Bild der deutschen Justiz nur noch Zündstoff verschaffen.

Ich konnte zwischenzeitlich auch praktische Erfahrung sammeln. Daher stieß es mir unglaublich sauer auf, als ich folgende Textstelle lesen musste:

Im Strafrecht geht es meist nur um sogenannte Deals. […] Dabei wird eine Strafe vereinbart, bevor der Prozess beginnt. Es geht darum, die Gerichte zu entlasten. […] Der Anreiz für den Angeklagten ist, dass eine mildere Strafe als vorgesehen bekommt. Der Reiz für die Justiz ist, das völlig überlastete System zu entlasten und die statistische Quote der Aufklärungen zu erhöhen. Jedes Mal, wenn ein Angeklagter den Beschuldigungen der Staatsanwaltschaft zustimmt, bedeutet dies, dass die Staatsanwaltschaft ihren Job zu hundert Prozent richtig gemacht hat, die ermittelnden Beamten auch. […] Das ist der Grund, warum das deutsche Justizsystem so perfekt funktioniert und quasi nur minimale Fehler aufweist.

Ja, Deals haben in den letzten Jahren zugenommen. Und bestimmt gibt es genug Anwälte, Staatsanwälte und Richter, die sich die Arbeit gerne einfach machen. Jeder von ihnen ist ebenfalls auch ein Mensch. Und wo Menschen arbeiten, da gibt es eben die, die in ihrem Beruf aufgehen und solche, die gerne den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Aber an manchen Stellen bekommt man einfach den Eindruck, als wäre man schon vor Verhandlungsbeginn vorverurteilt.

Zu behaupten, dass unser Rechtssystem nur aufgrund von Deals, bei denen der Angeklagte alles eingesteht, was ihm vorgeworfen wird, nur minimale Fehler aufweist, ist schlicht und ergreifend einfach gefährlich. Wenn eine Anklage bei Gericht zugelassen wird, dann haben bereits Polizei, Staatsanwalt und Richter den Sachverhalt geprüft. Genau aus diesem Grund werden auch nur diese Anklagen zugelassen, bei denen sich ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, wenn man also davon ausgeht, dass eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch. Und natürlich werden daher verhältnismäßig viele Angeklagte, die einen Gerichtssaal von innen sehen, auch verurteilt. DESHALB gibt es nicht soviele Fehler, wie die Presse uns manchmal weis machen will. Dies nicht wenigstens anzusprechen ist genau der Grund, warum „normale“ Bürger ein dermaßen gestörtes Verhältnis zu unserer Justiz haben.

Gleiches Bild zeigte sich bei dem Fall, welcher die JVAen unseres Landes wohl darstellen sollte. Beamte, die einem Häftling Drogen unterschieben und Direktoren, die belastende Videobänder verschwinden lassen… Ja, sowas mag es geben. Das will ich gar nicht abstreiten, wie gesagt, auch hier arbeiten nur Menschen und die machen eben Fehler und schwarze Schafe gibt es in jeder Branche. Doch der Großteil der Beamten, die ihren Dienst in einem Gefängnis leisten, nehmen abends Eindrücke und Bilder mit nach Hause, die sie selbst erst einmal verarbeiten müssen. Und die leisten ihren Dienst trotzdem nach Vorschrift und mit einem gesunden Maß an Nächstenliebe.

Dafür konnte mich der Autor damit beeindrucken, dass er Sympathien schafft, mit denen man zunächst gar nicht rechnet. Himmelried zeigt die schrecklichsten Seiten menschlichen Handelns auf und schafft es trotzdem irgendwie, dass einem nicht die Grausamkeiten und das Schlechte im Menschen im Kopf bleibt. Sondern irgendwie bleibt einem das Herz schwer, doch trotzdem mit einem guten Gefühl. Ich empfand das als sehr besonders und kann dieses Empfinden kaum in Worte fassen.

Constantin Himmelrieds Anliegen, Nicht-Juristen unser Rechtssystem und auch unsere Haftanstalten nahe zu bringen, ist durchaus ehrenwert. Und an sich war auch die Auswahl der erzählten Geschichten gar nicht schlecht gewählt, denn sie sind abwechslungsreich und fesseln den Leser. Ein wenig gewünscht hätte ich mir vielleicht eine etwas weniger einseitige „Berichterstattung“. Großes Lob habe ich allerdings für Himmelrieds Schreibstil übrig. Er nutzt kurze, einfache Sätze, lässt den Inhalt für sich sprechen und nimmt sich als Autor selbst sehr zurück. Wenn ich auch mit dem Inhalt nicht ganz einverstanden war, so punktet das Buch auf jeden Fall durch seine Spannung und einem Schreibstil, den ich sehr gerne mochte.

 

Vielen Dank an BloggdeinBuch für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars
© Nellys Leseecke - Lesen bedeutet durch fremde Hand träumen