Rezension

Ein Buch, welches eine surreale Welt mit dem alltäglichen Leben vereint

3096 Tage - Natascha Kampusch

3096 Tage
von Natascha Kampusch

Bewertet mit 3.5 Sternen

Ein Roman, der durch seine reale und ehrliche Grausamkeit unter die Haut geht und einen mitreißt.

In dem Buch "3096 Tage" teilt die Autorin, Natascha Kampusch, mit ihren Lesern einen schrecklichen Albtraum einer Gefangenschaft, der für sie selbst Realität war und den größten Teil ihrer Kindheit und Jugend vereinnahmt hat.

Zunächst erläutert Natascha Kampusch in ihrem Roman, der 2010 erschienen ist, wie, und unter welchen Umständen sie am Stadtrand von Wien aufgewachsen ist und welches Verhältnis sie zu ihren Eltern hatten. Sie beschreibt außerdem ihre Rolle in der Familie, in der sie als Nesthäkchen zunächst verwöhnt und nachher eher vernachlässigt wurde. Schon während ihrer Kindheit gab es viele Hoch und Tiefs und sie war einem ständigen Wechselbad von oberflächlicher Anerkennung und Ignoranz ausgesetzt.

Später, während ihrer Entführung wird Natascha mit ganz anderen Gefühlen und Ängsten konfrontiert und man fängt an sich in Nataschas Rolle als Entführungsopfer hinein zu versetzten. Ich für meinen Teil habe mich immer wieder dabei erwischt, wie ich mir überlegte, wie ich in diesen Momenten der Entführung gehandelt hätte. Wie hätte ich mich dem Täter gegenüber verhalten? Sehr schnell ist mir klar geworden, dass ich niemals auf eine Antwort hoffen konnte, denn das Ausmaß der Angst und der überwältigenden Emotionen, die Natascha empfunden haben muss, ist für mich zwar möglich zu begreifen, jedoch unmöglich nachzuvollziehen. Je weiter ich las, desto größer wurde mein Respekt Natascha gegenüber. Wie sie selbst immer wieder den Mut gefunden hat weiter zu machen, ohne sich von den unmenschlichen Methoden und Erziehungsmaßnahmen des Täters brechen zu lassen.

Auch hat mir gefallen, dass Natascha Kampusch immer wieder an den Leser appelliert hat, dass es kein schwarz und weiß, kein Gut und Böse gibt. Gleichzeitig hat sie dem Leser die gelegentliche Zuneigung und/oder Sympathie zum Täter verdeutlicht (z.B wenn er sie mal hat baden lassen, sie an die Luft gelassen hat oder ihr etwas mehr Essen als üblich gegeben hat). Diese Sympathie ist für Außenstehende eher schwer nachzuvollziehen und Natascha selbst weiß, dass viele Menschen diesen Vorgang oft als Stockholm-Syndrom abschreiben. Jedoch kann ich diese Bindung die zwischen ihr und dem Täter entstanden ist verstehen, da Natascha zum Einen zum Zeitpunkt ihrer Entführung noch sehr jung und dazu komplett vom Täter abhängig war und zum Anderen die beiden sehr sehr viel Zeit miteinander verbracht haben und sie den Täter mit all seinen Launen und geheimen Phantasien wahrscheinlich besser kannte als jeder andere.

Alles in einem fand ich das Buch sehr gut, es hat mich zum nachdenken angeregt und ich habe das Gefühl einen echten Einblick in die Psyche eines mutigen, jungen Mädchen bekommen zu haben, welches trotz aller Erniedrigungen nie ihre Identität und ihre Illusionen einer besseren Welt aufgegeben hat. Doch auch die Vorgehensweise des Täters und seine verzweifelte Vorstellung einer schönen geregelten Welt im Zusammenhang mit dem eindringlichen Bedürfnis nach Geltung und Macht hat mich in den Bann gezogen.

Ein tolles Buch, welches eine Geschichte repräsentiert, die zu schrecklich ist um wahr zu sein und gleichzeitig einen Teil der Wahrheit in vielen Familien widerspiegelt.