Rezension

Ein eindringlicher, bewegender Roman

Die Hütte des Schäfers - Tim Winton

Die Hütte des Schäfers
von Tim Winton

Bewertet mit 4.5 Sternen

Gleich dem jugendlichen Jackson »Jaxie« Clackton stolperte ich buchstäblich in dieses ganz besondere Abenteuer, das Tim Winton in seinem Roman »Die Hütte des Schäfers« (OT: The Shepherd's Hut) zeichnet. Und eben dieser überraschende, unerwartete Effekt hatte eine immense Wirkung auf mich, die auch nach der Lektüre noch lange nachhallte. Zugegeben, ich brauchte einen Moment, um mich an die teils rotzige Sprache, die mit Kraftausdrücken durchsetzt ist, zu gewöhnen aber je weiter die Handlung fortschreitet, desto stimmiger ist das Gesamtbild.

Doch der Reihe nach … worum geht es eigentlich in diesem Buch? Eine Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist, wenngleich die Ausgangssituation schnell beschrieben ist. Jaxie Clackton ist fünfzehn als er seinen Vater (»Captain Drecksack«) tot vorfindet. Seine Mutter verstarb bereits ein Jahr zuvor und die Angst, der plötzliche Tod des verhassten Vaters könne ihm zur Last gelegt werden, treibt ihn zur überhasteten Flucht. Nur weg ist das klare Ziel des Jungen und so schlägt er sich durch ein mir bislang völlig unbekanntes Australien. Unwirtlich und karg präsentiert sich das Land, das Jaxie durchwandert. Abseits des Highways will er nach Norden, weg von allem. Eine Flucht vor der Vergangenheit, ein Neubeginn. Doch unterwegs muss er sich seinen Dämonen stellen und wir begleiten ihn dabei. Es ist ein schmerzhafter Weg ins Erwachsenenleben, den Jaxie durchleiden muss, und umso beeindruckender ist es, seinen Mut, seine Stärke und nie versiegende Hoffnung mitzuerleben. Konnte ich anfangs nicht viel mit dem fluchenden Teenager anfangen, so wuchs er mir mehr und mehr ans Herz.

»Früher dachte ich, das ist die Hölle selbst. (…) Ein Ort, der so leer ist, dass die Gedanken wie Echos zurückkommen.«

Winton zeichnet seine Figuren vielschichtig – es ist als schäle man eine Zwiebel, Stück für Stück entblättert sich der eigentliche Mensch, der Charakter, die Seele. Harte Kontraste beherrscht der Autor. Sie offenbaren sich sowohl in den Landschaftsbeschreibungen, als auch in der Sprache und den Figuren. Ausgetrocknete Salzseen, Ödland, verlassene Goldgräberlager wechseln sich mit dicht bewachsenem Buschland voller Wurakbäume ab. Und mitten im Nichts trifft Jaxie auf den alten Fintan, der ein Geheimnis hütet. Vorsichtig beäugen sich die beiden. Der eine misstrauisch und zum Sprung bereit, der andere froh über die unerwartete Gesellschaft, die durchbrochene Isolation. Die beiden erkennen sich, es ist als schauten sie in einen Spiegel. Zwei Seelen, die sich ähneln und doch grundverschieden sind.

»Schon komisch, dass Fintan so alt und verloren und erbärmlich und verkorkst sein und doch so klar und so weit sehen konnte. Irgendwie hat er mich kapiert, das ist mal sicher.«

Getrieben von Durst, ist es zunächst nur das Wasser des Alten, das Jaxie braucht, doch aus der anfänglichen Abhängigkeit, die dem Jungen zuwider ist, entwickelt sich eine Art nutzbringendes Arrangement. Und so bleibt Jaxie. Sein neuer Gastgeber war ein Mann Gottes und stammt aus Irland. Weil er seine Vergangenheit in den Mantel des Schweigens hüllt, bleibt Jaxie argwöhnisch aber da auch er so gut wie nichts preisgibt, scheint es ein fairer Deal für beide zu sein. Und dann macht der Junge eine Entdeckung, die alles verändern wird.

Abgeklärt, nüchtern, reduziert – so kann man Wintons jungen Protagonist und gleichermaßen seinen Schreibstil zusammenfassen. Und doch berührt diese besondere Geschichte und hallt auch noch lange nach, wenn man sich auf die Lektüre einzulassen vermag, bereit dazu ist, tief im Dreck zu wühlen, um den verborgenen Schatz zu heben. Es ist viel Symbolik im Spiel, viele Mutmaßungen, Gedanken und Gefühle, einiges bleibt ungesagt. Letzteres ist wohl ein klares Stilmittel des Autors und doch habe ich mir an einigen Stellen verzweifelt gewünscht, mehr zu erfahren.

Fazit

Ein spezieller Coming-of-Age-Roman, der mit harten Kontrasten, einer derben Sprache und doch mit so viel Gefühl besticht. Eine Empfehlung für alle die, die gern zwischen den Zeilen lesen, sich die Seele einer Geschichte erarbeiten und verdienen möchten.