Rezension

ein emotionales und aufwühlendes Buch

Tim lebt! - - Simone & Bernhard Guido

Tim lebt! -
von Simone & Bernhard Guido

Bewertet mit 5 Sternen

" Tim lebt " ist die Geschichte des Jungen, der als "Oldenburger Baby " bekannt wurde und über den in den Medien 1997 und später viel berichtet wurde.
Tim, ein Down Kind, wurde 1997 im 7 Monat abgetrieben, überlebte aber diesen Eingriff ,lag dann 9 Stunden im OP ohne medizinische Versorgung ,denn er sollte ja sterben, um dann bei Schichtwechsel versorgt zu werden und lebenserhaltende Maßnahmen durchzuführen.
Wenn man dies liest, glaubt man an einen Albtraum und fragt sich, wie konnte so etwas passieren ? In diesem Buch kommen fast alle Personen zu Wort, die in irgendeiner Weise mit Tim , seinem Leben und seiner Behinderung zu tun hatten und haben, denn Tim hatte das Glück nach seinem langen Krankenhausaufenthalt in eine liebevolle Pflegefamilie zu kommen, die ihm jede nur erdenkliche Hilfe haben zukommen lassen.
Ausgangspunkt dieses Buches ist sein 18. Geburtstag, den er allen Prognosen zuwider feiern kann, dank seiner Pflegeeltern Simone und Bernhard Guido und vieler sie unterstützenden Personen. Ihnen sei hiermit mein uneingeschränkter Respekt ausgesprochen. Ich finde es mehr als schön zu erfahren, dass es noch Menschen gibt, die das Wesentliche eines Menschen sehen und nicht nur seine äußere Hülle:

Ich muss dazu sagen, dass wir selbst einen schwerst-mehrfach behindertes Sohn haben, der im Alter von 10 Monaten eine schwere Entzündung des Gehirns, hervorgerufen durch einen Herpes- Virus, hatte und dadurch eine schwere Behinderung mir schwersten Unruhezuständen und einer Epilepsie zurückbehielt. Vieles was die Guidos von Tim berichten, kommt mir aus diesem Grunde sehr vertraut vor.

Tim sorgte damals für eine Diskussion, die sonst vielleicht nie zustande gekommen wäre, nämlich über das Für und Wider einer Abtreibung nach dem 12. Schwangerschaftsmonat und was ich noch viel wichtiger finde " Wann ist ein Leben lebenswert ? "

Laut Statistiken ,werden Schwangerschaften bei denen durch die pränatale Diagnostik eine Behinderung festgestellt wird, immer häufiger abgebrochen. Bis zu 90 % aller dieser Schwangerschaften enden in einem OP mit dem Abbruch und somit mit dem Tod des Kindes. Wissenschaft Segen oder Fluch , frage ich mich da ? Denn bestimmte Untersuchungen können erst mit Fortschreiten der Schwangerschaft vorgenommen werden, das heiß, kommt es dann zu einem Abbruch, ist das Kind schon voll ausgebildet und muss nur noch wachsen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welche Gründe dazu führen, eine solche Entscheidung zu treffen. Vielfach spielt dabei auch eine große Rolle, dass die Eltern mit ihren Gedanken und Sorgen allein gelassen werden. Aufklärung und Hilfe täte da Not. Aber auch die Situation der Ärzte kommt hier zur Rede, die sich rechtlich absichern müssen, um später nicht zur Rechenschaft gezogen werden zu können .Ich behaupte aber trotzdem, dass durch dieses Gesetz auch Missbrauch betrieben wird, was mir in diesem Buch bestätigt wurde.

Ich muss sagen, dass ich mehr als einmal das Buch zur Seite legen musste und mir die Tränen öfter über das Gesicht gelaufen sind beim Lesen dieses Buches. Als Mutter eines behinderten jungen Mannes , Julian ist 21 , frage ich mich, wohin die Zukunft geht ? Es ist wie ein Tritt in die Magengrube, wenn man erlebt, dass man einen Menschen, der nicht der heutigen Vorstellung von Leistungsfähigkeit entspricht, einfach " entsorgen " kann. Die Verantwortlichen sollten sich darüber im Klaren sein: ein Unfall oder eine Erkrankung und die könnten in der gleichen Situation sein.

Herr Wulf, unserer damaliger Ministerpräsident, den ich anlässlich einer Aktion in der Horst-Kösling Schule Osnabrück kennenlernte, sagte einmal:" Eine Gesellschaft misst sich immer daran , wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. " Wenn ich mir da die Einrichtungen alter oder behinderten Menschen anschaue, kann ich nur sagen " Armes Deutschland ". Den dort arbeitenden Menschen gilt mein großer Respekt. Sie bekommen weder gesellschaftlichen Anerkennung, noch ein angemessenes Gehalt. Im Gegenteil, durch ständige Kürzungen der Pflegesätze hier in Niedersachen, sind die Einrichtungen gezwungen Personal einzusparen und somit den Schultern dieser Pfleger/innen noch mehr Last aufzubürden, die nicht selten in einem Burn out enden.

Ich sehe dieses Buch als Appell, mehr für die Schwächsten der Gesellschaft ( und damit meine ich auch alte Menschen ) einzutreten , auf ihre Situation hinzuweisen und zu beweisen, dass das Leben immer lebenswert ist. Es müsste nur an der Einstellung der Menschen gearbeitet werden, die eine gesellschaftliche Anerkennung sicherlich forcieren würde. Dann müsste kein Kind im 7. Monat im Wassereimer enden und wir könnten viel von den alten Menschen lernen, die heute leider viel zu sehr unter Vereinsamung leiden. Es wäre sich eine Bereicherung für die soziale Kompetenz, die man sich dadurch aneignen könnte.

Lesen sie dieses Buch. Das Leben von Tim in seiner Familie zu verfolgen hat mir den Glauben an das Gute im Menschen wieder bestätigt. Es gibt sie diese Menschen, die nicht nach Perfektionismus streben und auch Menschen mit Handycap eine Chance geben Liebe und Familie kennenzulernen. Vielen Dank Familie Guido, dass es sie gibt. Marita Robker-Rahe