Rezension

Ein Erbstreit eskaliert

Eine gewöhnliche Familie - Sylvie Schenk

Eine gewöhnliche Familie
von Sylvie Schenk

Bewertet mit 5 Sternen

Ein großes Familientreffen bietet viel Stoff für eine dramatische Geschichte – umso mehr, wenn der Anlass eine Beerdigung ist und die Aufteilung des Erbes in Frage gestellt wird. In Sylvie Schenks Roman trifft sich die Verwandtschaft in Lyon, um den Tod von Tante Tamara und Onkel Simon zu betrauern.

Céline Cardin, eine der Nichten der Verstorbenen, hatte sich auf das Wiedersehen mit ihren drei Geschwistern und Verwandten gefreut, jedoch nicht mit Animositäten gerechnet, die im Laufe der Handlung eskalieren. Grund für die Uneinigkeit ist das Verschwinden des Original-Testaments. Die vier Cardin-Geschwister, die sich als rechtmäßige Erben gesehen hatten, müssen nun befürchten, leer auszugehen.

Ähnlich wie in ihrem Roman „Schnell, dein Leben“ gelingt es Sylvie Schenk auch diesmal meisterhaft, viele Lebensläufe auf nur 160 Seiten zu komprimieren. Den Auftritt verschiedener Familienangehöriger nutzt die Autorin, um einen kurzen Rückblick auf deren Leben zu werfen und sie schlaglichtartig vorzustellen. Hinter den kurzen, prägnanten Sätzen verbergen sich ganze Lebensgeschichten und -dramen. Ihre verknappte Sprache und der spöttische Ton bilden oft einen großen Kontrast zu den schweren Schicksalsschlägen, die die Figuren erlitten haben.

Vordergründig beschreibt Sylvie Schenk einen gewöhnlichen Streit um eine Erbschaft, wie sie in jeder Familie vorkommen könnte. Es geht jedoch um mehr, denn das Zusammentreffen zeigt die Fragilität von Familienbeziehungen und wirft die zentrale Frage auf, der sich jeder Figur stellen muss: „Was ist aus mir und meiner Familie geworden?“