Rezension

Ein großes Stück religiöser Literatur - als Ethik und Lebenslehre

Die Erzählungen der Chassidim - Martin Buber

Die Erzählungen der Chassidim
von Martin Buber

Bewertet mit 5 Sternen

Die ostjüdische mystische Bewegung des Chassidismus (Chassidim sind die "Frommen", ihre religiösen Führer, die Zaddikim, die "Gerechten"), begründet von Israel ben Elieser (1700-1760), genannt der Baal-schem-tow, der Meister des guten Namens, gehört zu den Wurzeln von Martin Bubers Denken. Das Dialogische, worin sich für Martin Buber Menschsein erfüllt, sah er bei den Chassidim beispielhaft realisiert: in einer Lebenshaltung, die in der Zuwendung zur Welt und zum anderen Menschen ans Göttliche rührt. Die Schechina, die Einwohnung Gottes in der Welt, wird in einem solchen Leben mit Gott verbunden. Martin Bubers Verständnis des Chassidismus ist etwa von Gershom Scholem kritisiert worden, und auch der Judaist Karl Erich Grözinger sieht bei Buber eine Weiterentwicklung der Haltung der ursprünglichen Bewegung, eine Form des Neochassidismus, welche das "Original" abwandelt.

Wie dem auch sei: "Die Erzählungen der Chassidim" lassen in ihren Legenden unterschiedliche Zaddikim und ihre religiöse Lehre und Praxis gegenwärtig werden: den einfacheren Rabbi Sussja ("In der kommenden Welt wird man nicht fragen: 'Warum bist du nicht Mose gewesen'. Man wird mich fragen: 'Warum bis du nicht Sussja gewesen'"), den tragischen, wahrheitssuchenden Menachem Mendel von Kozk, Jaakob Jizchak von Pzysha, der mit der die Lebendigkeit nehmenden Wirkung von Regeln kämpft, und natürlich den Baal-schem, den Maggig von Mesritsch und viele andere. Nächstenliebe (ein Grundzug des Judentums), Achtung und Aufmerksamkeit (Buber selbst hat in der "Chassidischen Botschaft" Chassidismus und Zen-Buddhismus verglichen), das Pflegen von Gemeinschaft sind Kennzeichen der chassidischen Bewegung. Die Geschichte, mit Pogromen und Anfeindungen der Juden durch ihre Umwelt, spielt immer wieder eine Rolle.

Die kurzen Geschichten, in denen Buber - in seiner Art - überlieferte Materialien wiedergibt, sind ein großes Stück religiöser Literatur - wobei Religiosität nicht einfach als "Religion" im Sinne von sicherem Glauben und Glaubensregeln zu verstehen ist, sondern vor allem auch als Ethik und Lebenslehre.