Rezension

Ein Jahrhundertprojekt

Bergleuchten -

Bergleuchten
von Karin Seemayer

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Filmtitel aus den dreißiger Jahren lautet „Der Berg ruft“. Im Jahr 1872 ruft auch ein Berg oder vielmehr ein Schweizer Bauunternehmer namens Louis Favre, der einen Tunnel durch den Gotthard bauen will. Von zwei Seiten wird ein Loch in den Berg getrieben und in einigen Jahren soll es einen durchgängigen Tunnel geben, der den Transport über den Gotthard einfacher machen wird. Es strömen viele italienische Arbeiter nach Göschenen und nach Airolo. Die Einwohner der kleinen Orte sind nicht begeistert von Favres Vorhaben, doch die meisten fügen sich und nehmen den zusätzlichen Verdienst gerne mit. Auch Fuhrhalter wie Franz Herger wissen, dass sie die Pläne nicht verhindern können und machen ihre Geschäfte mit der Gotthardbahn-Gesellschaft. Hergers Freund Urs Gisler dagegen will sich nicht den Realitäten fügen und setzt damit viel aufs Spiel.

Es ist ein gigantisches Unternehmen, den Tunnel durch den Berg zu treiben. Viele der Arbeiter werden dabei verletzt oder sterben. Die Bedingungen im Tunnel sind fürchterlich und kräftezehrend. Doch den Arbeitern bleibt nichts anderes übrig als durchzuhalten, müssen sie doch ihre Familien versorgen. So dauert es lange bis es zum Streik kommt, weil sie bessere Arbeitsbedingungen haben wollen. Aber auch Favre steht unter Druck, hat er sich doch auf ruinöse Vertragsbedingungen eingelassen. Am 29. Februar 1880 gelingt der Durchstich, was für die Arbeiter nach all der Schufterei unter schlimmsten Bedingungen ein besonderes Erlebnis ist. Favre selbst hat dieses Ereignis selbst nicht mehr erlebt.

Vor diesem Hintergrund spielt die Geschichte von Helene Herger und dem Mineur Piero Caretti. Piero findet Unterkunft auf der Hergerhof und verliebt sich in die Tochter des Fuhrhalters. Doch Helenes Eltern würden diese Beziehung nie dulden.

Wieder einmal konnte mich die Autorin Karin Seemayer mit ihrer Geschichte begeistern. Der Schreibstil ist wirklich fesselnd, so dass mich gut mit den Personen fühlen konnte. Die historischen Fakten sind perfekt recherchiert. Mich haben nicht nur die Verhältnisse im Tunnel erschüttert, sondern auch die katastrophale Unterbringung der Arbeiter. Das beschauliche 300-Seelen-Dorf Göschenen verändert sich von einem Tag zum anderen total. Spannungen bleiben nicht aus.

Alle Charaktere sind wunderbar und authentisch dargestellt. Besonders gut gefallen hat mir Helene, die eine ungewöhnliche und starke junge Frau ist. Sie weiß genau, was sie will, doch das Schicksal meint es nicht immer gut. In Paula Bissig hat sie eine gute Freundin, die zu ihr steht und sie unterstützt. Aber auch Peter Gisler ist ein patenter junger Mann, auf den man sich verlassen kann. Schade, dass sein Vater Urs so verbohrt ist. Piero ist auch ein sympathischer Mensch, der mit Widrigkeiten in seinem Leben zu kämpfen hat.

Sowohl der recht technische Teil dieses spannenden Romans, als auch die Liebegeschichte haben mir gut gefallen. Ich kann das Buch nur empfehlen!