Rezension

Ein kleines Juwel von einem Buch

Rosa in Grau -

Rosa in Grau
von Simone Scharbert

Bewertet mit 5 Sternen

Um es vorwegzunehmen, eines der empathischsten Bücher je gelesen. Was heißt „empathische Bücher“? Nicht unbedingt der Plot zählt, sondern die literarische Umsetzung, und die ist sensationell, phänomenal. Die Geschichte hat eine ungeheure Kraft, die vom Leser Besitz ergreift, es wird ihm abwechselnd kalt und heiß, gefühlsüberwältigend, erschöpft, erreicht sein tiefstes Inneres, berührt emotional. Ja diese Gefühlsduselei muss sein.

Rosa in Grau wird aus der Perspektive einer jungen Mutter erzählt, die Anfang der 1950er-Jahre mit Schizophrenie in eine psychiatrische Klinik in Haar/Deutschland eingeliefert wird. Den Menschen, denen sie dort begegnet, müssen Jahrzehnte in psychiatrischen Anstalten verbringen, zeigen ihr unter oft schockierenden Bedingungen, wie Kunst zu einem Hoffnungsschimmer werden kann. Sprachlich prickelnd rückt Rosa in Grau Frauenstimmen in den Vordergrund und thematisiert Kontrollverlust, Grenzerfahrungen, Liebe, Freundschaft und Kunst.

In der Ich-Form erzählt die junge Mutter mit ihrem aufgewühlten Geist wie sie sich mit dem Alltag auseinandersetzt, mit seelenzerstörenden Erlebnissen in der psychiatrischen Anstalt. Der erste Teil spielt 1951 „Zu Hause“ mit ihrer Tochter Rosa. Kurze Szenen aus dem Alltag verdeutlichen, wie die Überlagerung vergangener traumatischer Ereignisse und aktueller Anforderungen an ihrer psychischen Gesundheit zehrt. In ihren schizophrenen Phasen ist sie unfähig, auf die Bedürfnisse ihres Kindes einzugehen.

Der zweite Teil spielt 1953 in der psychiatrischen Klinik Haar mit dem erschreckenden Leben in der Anstalt, dem Verlust der Würde und der Monotonie jedes tristen Tages. Jedoch bilden Freundschaft und Liebe Lichtblicke. Halluzinationen offenbaren Einblicke in ihre Vergangenheit und wie der gewalttätige Vorfall zu Hause mit ihrem zweiten Kind zu ihrer Einweisung führte.

Nach einem kurzen Zwischenspiel 1954 „Zu Hause“, 1956 wieder im Nervenkrankenhaus Haar. „Ich schließe den Mund, fest. Beiße auf das Taschentuch, beiße gegen die Zeit. Einmal mehr… Dass sie mir gleich die Elektroden auflegen, auf die Stirn. Sagt sie. Dass ich keine Angst haben müsse, dass das Gerät gut eingestellt sei…“ (S. 155).
Das Buch zieht mich mit seiner Spannung, Ungewissheit und Schönheit in seinen Bann, auf jeder Seite in seine tief empfundenen Themen.

Ohne direkt auf die Heil- und Pflegeanstalt/Nervenkrankenhaus Haar einzugehen, haben psychiatrischen Kliniken eine dunkle experimententhemmte menschenverachtende Vergangenheit und beginnend in den 1930er- bis 1970er-Jahre ein düsteres Kapitel der Medizingeschichte. Als die Ärzteschaft noch glaubte den Menschen mit einer Operation (Lobotomie) heilen zu können, oder um ihn vielmehr „ruhig zu stellen“.

Zwei Lesetipps: „Ein simpler Eingriff“ von Yael Inokai und „Nachts, wenn der Tiger kommt“ von Fiona McFarlane.