Rezension

Ein Mädchen rettet eine Stadt ...

Das Esslinger Mädchen - Stefan Walz

Das Esslinger Mädchen
von Stefan Walz

Bewertet mit 4.5 Sternen

„September 1683. Wien steht kurz vor der Eroberung durch die Osmanen. Auch Esslingen hat Soldaten zur Verteidigung entsandt.“ Dieser Klappentext ist ein wenig irreführend. Zwar spielt die zweite Türkenbelagerung Wiens eine Rolle, die Geschichte selbst spielt in Esslingen am Neckar (in der Nähe von Stuttgart) und nicht in Essling bei Wien.

Der Autor hat die Lebensgeschichte der realen Anna Catherina Haug penibel recherchiert. Als zweitälteste Tochter eines protestantischen Landpfarrers geboren, muss sie sich als Dienstmädchen im „Goldenen Adler“ verdingen.

Durch allerlei Intrigen kommt es zum Besitzerwechsel im „Goldenen Adler“. Ausgerechnet dem ehemaligen Soldaten und undurchsichtigen Kellner Leonard Lutenberger spricht der Stadtrat das Gasthaus zu.

Die junge Frau ist den Avancen und Handgreiflichkeiten ihres Arbeitgebers ständig ausgesetzt.

Als dann die Franzosen Esslingen besetzen, wird Anna Catherina vom Stadtrat genötigt, sich dem Eroberer Mélac hinzuwenden. Anna wird schwanger. Ob von Mélac oder doch von Lutenberger wird vorerst der Fantasie der Leser überlassen.

Eine zweite Handlungsebene mit Auswirkungen auf Esslingen und Anna Catherina stellen die sogenannten „Hexenkinder“ dar. Es sind dies Söhne und Töchter, deren Mütter und Väter als Hexen hingerichtet wurden. Aus der Dorfgemeinschaft ausgestoßen müssen sie ihren Lebensunterhalt als Bettler und Diebe fristen. Keiner will mit diesen Kindern zu tun haben, ja, es wird sogar deren Existenz verleugnet. Nur Lukas will über die Herkunft der Hexenkinder Bescheid wissen, zumal dieser Makel auch ihn betrifft. Heimlich verehrt er Anna Catherina und wartet auf seinem im Türkenkrieg vor Wien (hier wieder der Konnex zum Klappentext) verschollenen Bruder Martin.

Äußerst unsympathisch ist mir der Vater Anna Catherinas, ein protestantischer Geistlicher mit einer stattlichen Kinderschar, der ausgerechnet diese Tochter schlecht behandelt. Für die anderen Mädchen findet er entsprechende Ehemänner. Aber, vielleicht hält ihm Anna Catherina den Spiegel seiner Unzulänglichkeit vor Augen, was er nicht ertragen kann.

Auch Leonard Lutenberger ist ein mieser Charakter. Gierig, schleimig, hinterfotzig – ein richtiger Widerling. Da scheint der Eroberer Mélac noch die freundlichere Gestalt zu sein.

Das Buch gibt einen Einblick in die Lebenswelt im 17. Jahrhundert, dörfliches Intrigantenspiel, Brotneid und Scheinmoral inklusive. Manchmal hatte es ein wenig Längen. Doch als Erstlingswerk des Autors ist es gut gelungen.