Rezension

Ein Mann muss es zu etwas bringen

Tote Seelen - Nikolai Gogol

Tote Seelen
von Nikolai Gogol

Bewertet mit 3.5 Sternen

Tschtschikow ist ein Reisender. Ein Mann auf der Suche nach Menschen, die ihm tote Seelen verkaufen. Ein Anliegen, dass ihn jedes Mal in die Bredouille bringt. Jeder ist schockiert, irritiert und will schließlich seinen Vorteil daraus ziehen.

Ein Roman, bei dem die Inhaltsangabe so schwer ist wie die Beurteilung. Gogol bietet ein einzigartiges Panorama der russischen Gesellschaft in all ihren Facetten. Der Fokus liegt natürlich auf den negativen und skurrilen Zügen. Klatschsucht, Faulheit, Gewinnstreben um jeden Preis (solange es mit so wenig Arbeit wie möglich verbunden ist) und allen tiefen des menschlichen, persönlichen Abgrunds. Gogol lässt kaum ein gutes Haar an seinen Charakteren und seinen Landsleuten, wobei es ihm darum geht, seinem Volk zu zeigen, woran es arbeiten soll – denn auch ausländische Marotten taugen in seinen Augen nichts. Als Leser eine Identifikationsfigur zu finden, ist unmöglich. Jede ist verdreht und belastet.

Gogol arbeitet komplex. Sprechende Namen, versteckte Hinweise und irreführend leichte Erzählweise sind nur durch umfassende Anmerkungen und ein Nachwort zu entschlüsseln. Er hat die russische Entsprechung der genialen Gesellschaftskritik eines Dickens oder Thackerey geschrieben, allerdings mit der schweren, düsteren, russischen Hand, die dem Leser manchmal widerstrebt. Der leichte Witz eines Dickens ist hier nicht zu finden und wer für ein russisches Werk auch unangemessen.

Der erste Teil des Buches ist der einzig vollständig überlieferte. Man merkt ihm aber auch die sorgfältige, ja, penible, Ausarbeitung des Autors an. In abgezirkelten Kreisen, fast schablonenhaft, spielt sich hier der immer gleiche Handel ab. Das wird für den Leser manchmal etwas mühselig, zumal an keiner Stelle zu erkennen ist, worauf es hinauslaufen soll. Der zweite Teil liegt nur als Fragment vor, ist aber gefälliger zu lesen. Statt strenger Schablone fließt der Erzählfluss frei und beantwortet nicht zuletzt auch einige Fragen.

Das Werk ist ganz sicher nicht einfach geschrieben. Spannung ist nicht im üblichen Sinne zu finden, doch wer sich auf das Bucheinlässt und sich nicht vom schweren russischen Stil abschrecken lässt findet ein brillantes russisches Gesellschaftspanorama. Das Buch ist die Mühe wrt, durchhalten lohnt sich und unbedingt sollte es kommentiert gelesen werden, denn Gogol arbeitet mit sehr vielen Anspielungen und Wortspielereien, die man als Laie nicht ohne weiteres entschlüsseln kann.

Schade, dass Gogol den Großteil des Manuskripts vernichtet hat. Der zweite Teil verspricht viel. Eine Art Schluss liegt ebenfalls vor, aber wer sich mit diesem Buch auseinandersetzt muss die Ungewissheit eines Fragments in Kauf nehmen.

Die dtv-Ausgabe von 2013 mit den Kommentaren von Vera Bischitzky hat dieses Werk in einer ausgezeichneten Aufbereitung vorgelegt. Übersetzungsfehler älterer Ausgaben, Übersetzungsvarianten und –unsicherheiten werden in einem umfangreichen Anhang ausformuliert und können von Interessierten nachgelesen werden. Wer sich ohne Kommentar an den Text wagen will, kann dies, ohne von Fußnoten unterbrochen zu werden. Ein ausführliches Nachwort ordnet das Werk noch einmal ein und beantwortet Fragen zur Textgeschichte.

Die Ausgabe kann ich wärmstens empfehlen! Inhaltlich muss man bereit sein, sich darauf einzulassen. Streckenweise liest es sich zäh und steif, doch jeder, der bis zum zweiten Teil durchhält wird belohnt. 3 ½ Sterne, da es irgendwie witzig zu lesen, vielseitig, tiefgründig und informativ ist, doch die langatmigen, zähen Passagen, gerade des ersten Teils, ließen mich nur schwer mit der Handlung warm werden. Ein Werk bei dem die Beurteilung schwer ist. Da bleibt nur: selber lesen und eine eigene Meinung bilden. Trotz aller Kritikpunkte wartet das Buch mit einigen Überraschungen auf und ist eine lohnende Lektüre.