Rezension

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Ein Meer von Erinnerungen

Das helle Licht des Tages -

Das helle Licht des Tages
von Graham Swift

Bewertet mit 3.5 Sternen

Vorab muss ich eingestehen, dass mich das Buch nicht mehr losließ. Ich musste es in einem Zug durchlesen, kann mir aber nicht wirklich erklären warum.

Um was geht es? George Webb ist Privatdetektiv und besucht an einem kalten Novembertag eine seiner ehemaligen Klientinnen im Gefängnis. Mehr geschieht oberflächlich gesehen nicht, wenn da nicht die ineinander verschachtelten Erinnerungen von Webb wären, der in diese ehemalige Klientin unsterblich verliebt ist. An diesem Novembertag vor zwei Jahren hatte diese Klientin, Sarah Nash, ihren Ehemann mit einem gezielten Stich in dessen Herz in der gemeinsamen Küche ermordet. Sarah hatte den ganzen Nachmittag in der Küche gestanden, ein aufwendiges Menu gekocht, sich anschließend herausgeputzt, den Tisch für ein schönes Tête-à-tête mit ihrem Mann, einem Ehebrecher, vorbereitet und dann noch ein bisschen auf ihn gewartet. Aber zu diesem Essen kam es gar nicht mehr. Sie hat ihn, fünf Minuten nachdem er in das luxuriöse gemeinsame Heim zurückgekommen war, niedergestochen. Oder war sie es am Ende gar nicht gewesen? 

Webb hatte von Sarah den Auftrag, deren Ehemann dabei zu beobachten, wie dieser seine Geliebte, eine kroatische Studentin, auf den Flughafen begleitet, um ihr Lebewohl zu sagen. War da eventuell mehr als eine leidenschaftliche Affäre? 

Soviel zum Plot der Geschichte. Tönt wie eine Detektivgeschichte. Ist es es auch - aber in dem Buch steckt noch viel mehr. 

Als Leser*in begleitet man Webb durch diesen Novembertag. Man ist in seinem Kopf, seinen wild durcheinander gewirbelten Erinnerungen an sein früheres Leben als Polizist, an seine unehrenhafte Entlassung aus dem Dienst, seine Eltern, seine von ihm geschiedene Frau, seine lesbische Tochter und andere Personen und Orte, die mit seinem Leben zusammenhängen. Der Autor knüpft über 320 Seiten ein Netz von Erinnerungen und Überlegungen, die sich in Webs Kopf abspielen. Ich musste mich zuerst an den Schreibstil gewöhnen, aber mit der Zeit war ich fasziniert davon, wie Graham Swift die Welt von Welt von Webb aus dessen Perspektive darstellt. Menschen denken und erinnern sich nicht klar chronologisch und klar strukturiert. Viehlmehr ist unser Denken zu einem nicht unerheblichen Teil von wilden Assoziationen, diffusen Gefühlen und vielen äußeren Zufälligkeiten geprägt. Und genauso ist der Text geschrieben und aufgebaut. Das faszinierte mich. Ohne Effekthascherei nahm mich das Buch ein. Es war auf einmal sehr spannend zu lesen, obwohl der Text auf den ersten Blick chaotisch angeordnet  scheint - wie auch unser Denken (jedenfalls meines). Und was hat nun Napoleon III. damit zu tun? Einiges, aber das verrate ich hier nicht.
 

Fazit: Ein unglaublich spannendes Buch, wenn man sich darauf einlassen kann. Also unbedingt lesen!