Rezension

Ein schöner Reisebericht der etwas anderen Art

Neuschweinstein - Mit zwölf Chinesen durch Europa - Christoph Rehage

Neuschweinstein - Mit zwölf Chinesen durch Europa
von Christoph Rehage

Bewertet mit 4 Sternen

Auf der chinesischen Mikroblogging-Seite "Weibo" ist Christoph Rehage mittlerweile ein Internetstar. Und durch sein Videoprojekt "The longest way", in dem er 2009 seinen Versuch dokumentierte, zu Fuß von China nach Deutschland zu gehen (Was er leider nach 4.646 km abbrechen musste.), machte er sich nicht nur in China einen Namen. Ruhe- und rastlos, wie Christoph Rehage ist, suchte er nun also nach einem neuen Projekt. Die Liebe zu China brachte ihn auf die Idee für dieses Buches.

Wer kennt sie nicht, die asiatischen Reisegruppen, die von Bussen in Scharen vor einer Sehenswürdigkeit ausgespuckt werden, schnell ein Foto machen und schon wieder weiterhetzen? Und genau solch eine Reisegruppe aus China hat Rehage also begleitet. Falsch, er hat sie nicht begleitet, er war selbst Teilnehmer, auch wenn Außenstehende dies immer als Witz auffassten und ihn für den Reiseleiter oder Busfahrer hielten. Innerhalb von zwei Wochen ging es von Bejing aus von Deutschland über Frankreich, die Schweiz und Italien im Schweinsgalopp durch Europa. Also zumindest durch ein paar europäische Länder.

Viel kriegt man also von den besuchten Städten nicht gerade mit. Es gibt auch keine wirklichen Highlights. Aber die Reise an sich ist ja auch eher nebensächlich. Es geht vor allem darum, wie Chinesen reisen. Wie sie den Westen wahrnehmen und speziell Europa. Und um das Zusammenfinden und Interagieren der Teilnehmer.

Da Rehage perfekt Mandarin spricht und die chinesische Kultur und Lebensart respektiert, ja meiner Meinung nach auch wirklich liebt und lebt, gewinnt er schnell das Vertrauen der anderen Reisenden und fügt sich gut in die Gruppe ein. Zwar beobachtet er natürlich seine Begleiter, aber er sieht sich eher als Chinese als als Europäer und erzeugt somit ein "Wir"-Gefühl unter der Teilnehmern. So "knackt" er sie, und nach und nach lernt man sie besser kennen. Neben dem Reiseleiter sind dies zwei Männer und neun Frauen unterschiedlichen Alters, die teils mit ihren Müttern, teils alleine reisen. Die meisten erhalten von Rehage Spitznamen wie z. B. der "Große Freund", die Kunststudentin, der Riesenjunge. So erspart er dem Leser das Stolpern über für uns teils unaussprechliche Namen. ;-) Ich fand alle Teilnehmer sehr sympathisch und habe sie in den zwei Wochen fast schon richtig lieb gewonnen. 

Ich muss zugeben, dass diese Art zu reisen nicht mein Ding wäre. Allein schon mit einer Gruppe völlig Fremder nach Zeitplan zu reisen, fiele mir schwer. Und mir tat es richtig leid, dass die zwölf Reisenden kaum etwas von den Städten zu sehen bekamen. Dass sie mit ungenießbarem chinesischen Kantinenfraß abgespeist wurden. (Merke: Chinesische Reisegruppen essen fast ausnahmslos chinesisch, wenn sie fremde Länder besuchen.) Oder dass sie sich durch Verkaufsshows quälen mussten. Das erinnerte schon stellenweise an eine große und teure Butterfahrt.

Allerdings ist das Einkaufen im Ausland für Chinesen tatsächlich sehr wichtig, wie man in diesem Buch lernt. Ein Besuch in Europa ist für sie in der Regel sehr reizvoll, da hier die begehrten Luxusmarken wie Gucci oder Louis Vuitton günstiger angeboten werden. Die Reiseteilnehmer gehören sicherlich nicht zur Unterschicht Chinas, denn nicht nur die Reise an sich muss man erstmal bezahlen können - es wurden auch von den meisten sehr teure Markenartikel gekauft. Außerdem mussten sie noch eine hohe Kaution hinterlegen, damit gewährleistet ist, dass sie auch wieder in ihre Heimat zurückkehren und sich nicht irgendwo absetzen. Eine alleinstehende Teilnehmerin musste sogar unterschreiben, dass sie eine sehr hohe Strafe zahlen muss, sollte sie sich von der Gruppe entfernen. Solche Informationen fand ich sehr interessant.

Vieles brachte mich zum Schmunzeln. Der Autor erzählt frei von der Leber weg, und durch die vielen Dialoge ist der Schreibstil sehr lebendig. Natürlich werden aber auch ernste Themen angesprochen, z. B. die politische Lage in China, der Kommunismus, die Zensur,... So erhält man neben einem Reisebericht auch gute Einblicke in das Land China.

Sehr schön fand ich, dass das Buch mit dem Ende der Reise noch nicht beendet wurde. Der Autor machte noch sein Versprechen wahr und besuchte alle Teilnehmer in ihrer Heimat. So konnte man die elf Chinesen auch in ihrer "natürlichen Umgebung"  etwas besser kennenlernen und noch ein bisschen mit dem Autor durch China reisen. Das hat mir sehr gut gefallen und war ein schöner Abschluss.

"Neuschweinstein" ist ein schöner Reisebericht der etwas anderen Art und besonders empfehlenswert für Leute, die etwas mehr über die Mentalität der Chinesen erfahren möchten.