Rezension

Ein sehr leiser, ernster, poetischer Kurzroman

Tod in Monte Carlo - Ivan Ivanji

Tod in Monte Carlo
von Ivan Ivanji

Bewertet mit 5 Sternen

REZENSION - Es ist ein sehr leiser, ein fast stiller Roman des serbischen Schriftstellers Ivan Ivanji (90), der kürzlich unter dem Titel „Tod in Monte Carlo“ im österreichischen Picus-Verlag erschien. Wir begleiten 1939/1940 den serbischen Arzt Moritz Karpaty im neutralen Fürstentum Monaco in dessen Einsamkeit, in seinen Selbstgesprächen und auf seiner Suche nach dem Ort absoluter Stille, einer Camera silens, wie der humanistisch gebildete Jude aus dem damals noch jugoslawischen Banat es selbst nennt. Hitlers Krieg tobte bereits, aber Jugoslawien war neutral. „Ich bin ja Jugoslawe, habe einen gültigen jugoslawischen Reisepass, fühle mich nicht in erster Linie als Jude, das Judentum hat mich nie besonders interessiert“, schreibt Karpaty, der einst seinen Familiennamen Kohn hatte ändern lassen, in sein Tagebuch.

Als Mann reifen Alters hatte sich Moritz Karpaty von seinem reichen Freund, dem Zuckerfabrikanten Viktor Elek, zum kurzen Männer-Urlaub in Monte Carlo überreden lassen. Es war überhaupt der erste Urlaub, den sich Moritz Karpaty, sonst Tag und Nacht für seine Patienten im Einsatz, sich erlaubt hatte. Gleich beim ersten Casino-Besuch gewinnt er über eine Millionen Franc und beschließt, das Geld gleich an Ort und Stelle wieder auszugeben. Nachdem sein Freund Viktor wieder nach Hause abgereist ist, richtet sich Moritz im Hotel Hermitage in einer Suite häuslich ein. Doch was als sorgloser Urlaub beginnt, wird bald vom Kriegsgeschehen in Europa getrübt. Noch wähnen sich die betuchten Hotelgäste – teils sind es reiche, zurückhaltend auftretende Juden aus Deutschland, teils selbstbewusst lärmende Wehrmachts- und SS-Offiziere in Zivil, aber auch Wohlhabende aus anderen Ländern Europas – im Schutz der politischen Neutralität im Fürstentum sicher und leben ihr luxuriöses Leben scheinbar unbehelligt am Strand, auf der Promenade und im Casino. Es ist eine unwirkliche Welt in todbringender Zeit. Auch Moritz genießt sein luxuriöses Leben fern des Berufsalltags und fern der Familie. Er verliebt sich sogar in eine junge russische Tänzerin, hält sich aber im Wissen um sein Alter schamvoll zurück.

„Habe ich mich zu schämen, weil ich mich meiner augenblicklichen Bequemlichkeit so hingebe? Wird sich das rächen? Bin ich ein Sünder? Mea culpa, mea maximal culpa. Aber es ist so schön in Monte Carlo.“ Moritz ist zögerlich, unentschlossen: Soll er zu seiner Frau, seiner Familie ins neutrale Jugoslawien zurück? Oder soll er wie andere wohlhabende Juden das Fürstentum verlassen und nach Übersee auswandern, vielleicht zu seiner Tochter in die Vereinigten Staaten? Moritz Karpaty kann sich nicht entscheiden. In Monte Carlo ist er nicht Jude, sondern ein angesehener Arzt, der seine Suite in bar bezahlt. Moritz genießt die Annehmlichkeiten dieses neuen Lebens – bis der Moment der Entscheidung vorüber ist. Sogar im mondänen Hotel Hermitage wird dem Juden Moritz Karpaty anonym mit Mord gedroht. In seiner Verzweiflung ertränkt sich Moritz im Meer. Ist dort sein Ort absoluter Stille? Im August 1942 wurden alle im Fürstentum Monaco lebenden Juden verhaftet und an die Deutschen ausgeliefert.

Moritz hieß auch der Großvater von Ivan Invanji. Auch dieser Moritz reiste mit seiner Frau noch vor Kriegsausbruch nach Monte Carlo, kehrte aber frühzeitig in die Heimat zurück. Erst nach dem Einmarsch deutscher Truppen wählten beide den Freitod. Davon ausgehend, entwickelte der Autor einen berührenden, zu Herzen gehenden, dabei überaus poetischen Kurzroman um die Gefühle und Hoffnungen, um die Unsicherheiten und Ängste jüdischer Mitbürger in damaliger Zeit. Wie Moritz Karpaty versuchten sie sich unsichtbar zu machen, waren unentschlossen und warteten ab – die meisten zu lange.