Rezension

Ein sehr schweres Thema gefühlvoll umgesetztzt

Das Echo der verlorenen Dinge - Anita Shreve

Das Echo der verlorenen Dinge
von Anita Shreve

Bewertet mit 4 Sternen

Im ersten Weltkrieg erwacht eine Frau in einem Lazarett in Marne, Frankreich. Sie kann sich an rein gar nichts erinnern, weder an das, was zuvor passiert ist, noch wer sie ist oder wie sie heißt. Beim Anblick einer Schwersterntracht, die ihrer Liege gegenüber hängt, kommt ihr der Name Stella Bain in den Sinn und so nennt sie sich jetzt. Zwar klingt ihr Akzent nach einer Amerikanerin, doch sie muss zuvor schon in einem Lazarett gearbeitet haben, denn sie kennt sich sowohl mit der Versorgung der Verletzten aus als auch mit dem Fahren des Rettungsfahrzeugs. So bleibt sie eine zeitlang in Marne, spürt aber immer wieder den inneren Drang nach London zu kehren und dort die Admiralität aufzusuchen. Warum sie dieses Gefühl hat, kann sie nicht sagen, doch nach dem sie um Urlaub von der Front gebeten hat, reist sie mit verletzten Männern nach London. Dort wird sie zunächst krank, doch zum Glück wird sie von Lily Bridge und ihrem Mann, der Arzt ist, aufgenommen. Die Beiden kümmern sich um Stella und August, der Gesichtschirurg ist, vermutet bei Stella ein Schützengrabentrauma, heute als Kriegstrauma bekannt. Er beginnt mit ihr Therapiesitzungen, um ihre Erinnerungen zurückzuholen. Doch erst als sie mit Dr. Bridge in die Admiralität geht, kommt heraus, wer sie wirklich ist, denn hier begegnet sie einem Mann, der sie sofort erkennt.
Meine Meinung:
 Ich muss gleich zugeben, dass mir der Einstieg in das Buch alles andere als leicht fiel. Der Schreibstil war für mich zunächst sehr gewöhnungsbedürftig, denn die Sätze wirkten kurz und abgehackt. Die Erzählform in der dritten Person und in der Gegenwart machten es mir auch noch einmal schwerer, Bezug zu der Protagonistin und ihrer Geschichte zu finden. Ich konnte mich nur schwer in ihre Situation einfühlen und auch ihre Darstellung kam mir ungewöhnlich blass vor. Jetzt im Nachhinein denke ich aber, dass genau das die Absicht der Autorin war, denn durch diese Art zu schreiben, gibt sie doch sehr gut Stellas Welt wieder, kalt, knapp, leer. Ich bin auch sehr froh, dass ich über meine Anfangsschwierigkeiten hinaus gelesen habe, denn nachdem sie in der Admiralität erkannt wurde, gibt es eine komplette Wendung in der Geschichte. Zunächst gibt es einen Zeitsprung in die Vergangenheit, in der ich endlich "Stella" besser kennenlernen und auch endlich verstehen lernen durfte. Ab hier wurde ich von der Geschichte gefesselt und hatte auch keinerlei Probleme mehr mit dem Schreibstil. Das Geschehen nahm deutlich mehr Tempo auf und endlich kam man auch dahinter, worum es hier wirklich geht. Anita Shreve geht mit viel Einfühlungsvermögen und Verständnis an die Situation der Frau zu Beginn der 20er Jahre ein, es wird deutlich, wie wenig Rechte hier noch bei einer Frau lagen. Allein das noch kaum bekannte Trauma, das Soldaten oft befiehl und heute als Kriegstraumata bekannt ist, ist hier noch unerforscht und wurde einer Frau erst gar nicht zugesprochen, auch wenn sie im Lazarett Furchtbares gesehen und erlebt hatte. Bei einer Frau galt das nämlich als "typischer Fall weiblicher Hysterie" (Zitat, Seite 251). Puh, diese Worte haben mich innerlich vor Wut aufschreien lassen und ich bin sehr froh, dass sich diese Ansichten heute geändert haben. Genau diese Gefühle hat Anita Shreve hervorragend ausgearbeitet und dargestellt.
Auch konnte ich mich nun sehr viel besser in die Protagonistin "Stella" versetzen. Ich verspürte sehr viel Bewunderung für diese starke und mutige Frau, die es trotz aller Umstände schafft, für sich und ihre Rechte einzutreten.
Dieses Buch schien zunächst nur langatmig und fade, aber es wandelte sich zu einem Buch voller Emotionen und Darstellungen einer Zeit im Umbruch. Das Ganze ist der Autorin sehr gut gelungen und sie hat die ganze Situation der Protagonistin sogar sprachlich umgesetzt.
Mein Fazit:
 Auch wenn ich im Nachhinein denke, dass der Beginn des Buches genau so gewollt ist, hatte ich es sehr schwer in die Geschichte zu finden. Aber allen Lesern, denen es hier genau so ergeht wie mir, kann ich nur dazu raten, am Ball zu bleiben und weiterzulesen. Das Buch packt ein sehr schwieriges Thema an, über das ich selber bisher noch nie so richtig nachgedacht habe. Dementsprechend habe ich auch nach dem Beenden des Buches immer wieder über das Gelesene nachgedacht und gegrübelt. Frau Shreve ist es perfekt gelungen, diese Zeit realistisch einzufangen und wiederzugeben. Vielen Dank dafür!