Rezension

Ein tolles Sachbuch

Meine wilde Nation -

Meine wilde Nation
von Alex Lissitsa

Bewertet mit 5 Sternen

Autor Alex Lissitsa ist ein ukrainischer Agrarökonom, der einem der größten Agrarunternehmen der Ukraine, der IMC Agrarholding vorsteht, die rund 123.000 Hektar Land bewirtschaftet und Millionen Tonnen an Weizen, Mais, Sonnenblumen und Soja produziert. Gleichzeitig ist er politisch engagiert und ein intimer Kenner von Gesellschaft und Politik der Ukraine.

 

Alex Lissitsa liebt sein Land. Das ist in diesem Buch deutlich spürbar. Doch sieht er, anders als manch anderer, auch dessen Schwächen wie die Korruption. Diese ist, wie er auch in seinen Interviews sagt, das Überbleibsel aus dem Sowjetregime. Das Land hatte nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der Unabhängigkeitserklärung von 1991 zu wenig Zeit und nicht das geeignete Personal, gegen die Korruption vorzugehen. Viele sind in kurzer Zeit schnell reich geworden.

 

So erzählt er, wie er, um sein Unternehmen zu retten, entschlossen gegen Korruption vorgegangen ist: durch Austausch der in den alten Strukturen verhafteten Mitarbeiter. So ähnlich geht die Ukraine gegen die Korruption im Land vor. Lissitsa berichtet, dass beinahe die gesamte Führungsebene der Polizei ausgetauscht worden ist, um sich westlichen Standards anzupassen. Apropos Anpassung - er nimmt auch zu den Vorwürfen Stellung, die Ukraine würde ihr Fähnchen immer nach dem Wind richten. Dabei zeichnet er ein Bild der ukrainischen Vergangenheit, die im Westen nicht so bekannt sein dürfte.

 

Als er am Abend des 23. Februar 2022 den Anruf erhält, dass am nächsten Tag Putins Armee die Ukraine angreifen wird, ist nichts mehr wie es war. Anders als beim Angriff auf die Krim 2014 ist die ukrainische Bevölkerung wild entschlossen, sich der russischen Armee entgegen zu stellen und tut es bis heute. Es scheint, als hätte die Ukraine aus

dem Jahr 2014 und der widerrechtlichen Annexion der Krim gelernt.

 

Nicht immer ist er mit Präsident Wolodymyr Selenskjy einer Meinung, hat aber wegen dessen Geschick als Kriegspräsident doch eine gewisse Achtung. Selenskys Anordnung, englisch quasi als zweite Amtssprache (auch wenn sie nicht so heißt) einzuführen, stößt bei vielen Ukrainern auf Ablehnung. Doch Selensky hat schon die Zukunft des Landes im Sinn: auf Grund des demografischen Wandels (Abwanderung, Flucht und Tod der jungen Generation) fehlen in der Ukraine - wie überall in Europa - die Fachkräfte. Sie sollen durch gezielte Zuwanderung ausgeglichen werden. Dafür müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich verständigen können - auf englisch, weil das leichter zu erlernen ist, als ukrainisch. Da dies auch Alex Lissitsas Sorgen sind, kann er sich damit anfreunden.

 

Ebenso mit der „Patenschaft für eine Brigade“, was ihm zunächst ein wenig kurios vorgekommen ist. Selenskjy beabsichtigt, den Brigadeführen an der Front, die jeweils rund 4.000 Soldaten befehligen und meistens recht jung sind, wirtschaftliches Knowhow zur Verfügung zu stellen, da er bei seinen zahlreichen Frontbesuchen deren Nöte festgestellt hat. Als Lissitsa dann „seine Brigade“ in der Nähe von Saporischija besucht, ist die „Wunschliste“ des Kommandeurs ein wenig anders als gedacht: mehr PR, denn die Menschen in der Ukraine sollen wissen, dass die Soldaten täglich ihr Leben für andere aufs Spiel setzen, und Prothesen für Verwundete.

 

Auf den letzten Seiten gibt Alex Lissitsa einen Ausblick auf die Zukunft, die vor allem die Vorteile eines Beitritts der Ukraine zur EU beinhalten: unter anderem statt genmanipuliertes Soja aus Brasilien (in dem zuvor noch schnell der Regenwald für Anbauflächen abgeholzt wird) gentechnikfreies Soja aus der Ukraine importieren.

 

"Meine Ukraine ist eine wilde, eine widerspüchliche Nation, aber sie ist auf dem richtigen Weg, dem Richtung Europa."

 

Fazit:

 

Gerne gebe ich dieser Liebeserklärung an sein Land, dessen Menschen trotz des Krieges daran glauben, eine große und gemeinsame Zukunft in Europa zu haben, 5 Sterne.