Rezension

Ein vielschichtiger Roman

Blaue Frau -

Blaue Frau
von Antje Rávik Strubel

Bewertet mit 4 Sternen

Adina wächst in einem kleinen Ort im tschechischen Riesengebirge auf. Sie träumt von einem Leben in einer fremden, besseren Welt. Als junge Frau reist sie nach Deutschland. Sie wohnt zuerst in Berlin, wo sie Deutsch lernen und fremde Sprachen studieren will. In Berlin lernt sie die Fotografin Rickie kennen, die ihr ein Praktikum in einem neu entstehenden Kulturhaus in der Uckermark vermittelt.
Als Adina dort sexuell missbraucht wurde, flieht sie nach Finnland. In Helsinki lernt sie den estnischen Professor Leonides kennen, der als Abgeordneter der EU für die Menschenrechte kämpft. Sie verlieben sich ineinander, aber ihre Liebesaffäre ist kurz. Denn Adina befindet sich innerlich immer noch auf der Flucht vor ihrer tragischen Vergangenheit.

In dem Buch „Blaue Frau“ begleiten wir die junge Adina aus Tschechien auf ihrem Weg in die bessere Zukunft in West Europa. Alle Träume des sprachbegabten Mädchens zerplatzen, als sie als Praktikantin in einem neu gebauten Kulturhaus sexuell missbraucht wurde. Da der Täter ein politisch einflussreicher Mann ist, wurde Adina mit ihren Anschuldigungen nicht ernst genommen. Auch die Flucht nach Helsinki, die Stadt der Menschenrechte, bringt Adina, die inzwischen als Sala ihr Leben fortführt, nicht weiter. Unter der Last der Vergangenheit zerbricht Salas Beziehung mit Leonides, der sich ausgerechnet für die Menschenrechte einsetzt.

Der Roman ist aber nicht nur eine Geschichte des sexuellen Missbrauchs und der Traumabewältigung. „Blaue Frau“ ist auch ein politischer Roman, der sich sowohl mit dem heutigen Europa, wie auch mit ihrer jüngsten Geschichte und deren Auswirkungen auf das gegenwärtige europäische Zusammenleben befasst. Viele von diesen Themen wurden aus osteuropäischer Sicht betrachtet.

Die zweite Handlungsebene des Romans besteht aus Begegnungen der blauen Frau mit der Erzählerin der Geschichte über Adina. Die beiden Frauen verstehen sich auf Anhieb, vertrauen einander und sprechen über das Geschichtenerzählen. Diese Teile des Buches sind sehr poetisch.
Obwohl der Roman kein Pageturner ist, ist er wärmstens zu empfehlen. Denn die Geschichte macht auf die Ereignisse in unserem persönlichen Umfeld aufmerksam und schärft den Blick auf das, was sehr oft „gerne übersehen“ wurde.
Der Roman „Blaue Frau“ erhielt den Deutschen Buchpreis 2021.