Rezension

Ein wahrer Genuss

Kanada - Richard Ford

Kanada
von Richard Ford

Selten gibt es Bücher, die Leser mit den ersten Sätzen begeistern und für die Geschichte einnehmen. „Kanada“ von Richard Ford ist so ein Buch und gerade diese ersten Sätze beschreiben den Inhalt perfekt ohne zu viel zu verraten: „Zuerst will ich von dem Raubüberfall erzählen, den meine Eltern begangen haben. Dann von den Morden, die sich später ereigneten. Der Raubüberfall ist wichtiger, denn er war eine entscheidende Weichenstellung in meinem Leben und in dem meiner Schwester.“ Seite 11

Mit diesen lakonischen Sätzen beginnt Richard Ford eine etwas andere Familiengeschichte um Dell, einen 15 jährigen Jungen aus den frühen 60er Jahren. Der Banküberfall und die anschließende Verhaftung seiner Eltern bestimmen von nun an sein Leben und das seiner Zwillingsschwester Berner. Sie verlieren nicht nur ihre Eltern sondern auch sich selber und ihre gewohnte Umgebung. Eine Freundin der Familie bringt Dell zu ihrem Bruder, der in Kanada wohnt, um ihn vor dem Waisenhaus zu bewahren. Doch auch dieser hat eine dunkle Vergangenheit, die ihn einzuholen droht…

Im Rückblick auf seine Jugend erzählt Dell die Geschichte seiner Familie – einer sehr unglücklichen Familie - und auch seiner eigenen, vor und nach dem Banküberfall, den illegalen Geschäften und den Morden. Er erzählt von unerfüllbaren, märchenhaften Träumen und Sehnsüchten nach einem ganz normalen Dasein und einem festen Platz im Leben. Wir als Leser dürfen viele interessante aber auch melancholische Alltagsszenen aus den 60ern miterleben, wie die Ausflüge in den Straßenkreuzern der damaligen Zeit oder den typischen Fernseh- oder Spieleabende. In beeindruckenden Bildern schildert er die Tristesse, die er am Anfang in Kanada erlebt und wir erfahren sehr viel über die Konsequenzen der Verbrechen.
Es ist die Chronik einer unglücklichen Familie und der eines Verbrechens, bei dem ein einziger Fehler ein ganzes Leben bestimmt.

„Kanada“ war mein erster Roman von Richard Ford und wird hoffentlich nicht der letzte sein, den ich von diesem außergewöhnlichen Autor lesen werde. Einigen mag sein Schreibstil zu detailliert und langatmig erscheinen, mir gab er einfach die Möglichkeit, die Tiefe seiner Worte zu erkennen. Sein Händchen für Charaktere hat mir ein sehr unterhaltsames Kopfkino beschert. Es war, als würde diese schwermütige Familiengeschichte, die mir manchmal wie ein moderner Western vorkam, vor meinen Augen ablaufen. Dells Geschichte war für mich sehr ergreifend, bewegend und bitter, wenn auch realistisch. Er hat mir gezeigt, dass egal was auch passiert, man es immer selbst in der Hand hat, etwas aus seinem Leben zu machen und seine Träume zu realisieren.

Richard Ford hat mir mit „Kanada“ ein wirkliches Lesevergnügen bereitet und mir bewiesen, warum er zu den großen Gegenwartsautoren zählt.