Rezension

Ein wunderbares Buch

Stille Nacht -

Stille Nacht
von

Bewertet mit 5 Sternen

2018 jährt sich die erste Aufführung des wohl bekanntesten Weihnachtsliedes zum 200. Mal. Aus diesem Anlass erscheinen gleich mehrere Bücher. Dieses hier zeichnet sich durch penible Recherche und wissenschaftliche Aufarbeitung zahlreicher Quellen, Legenden und Facetten aus. Mehr als 30 Autorinnen und Autoren haben an diesem tollen Buch mitgewirkt.

 

Zu Beginn wird die Entstehungsgeschichte sowie die beiden Biografien von Franz Xaver Gruber und Joseph Mohr präsentiert.

 

Sehr interessant ist für mich die soziale Umgebung, in der das Lied entstanden ist. Salzburg ist 1818 nur mehr ein schaler Abklatsch seiner früheren Bedeutung. Teile des ehemaligen Erzbistums sind im Zuge des Wiener Kongresses an Bayern abgetreten worden und der Rest dem Erzherzogtum Ob der Enns zugeschlagen. Die Hauptstadt Salzburg verfällt in die Bedeutungslosigkeit. Auf dem Land hungern die Menschen. Die Auswirkungen des „Jahres ohne Sommer (1816)“ nach dem Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien 1815 sind deutlich spürbar.

 

Das Buch gibt einen wunderbaren Einblick auf das Schulwesen jener Zeit. Bauernkinder konnten auf Grund der Arbeiten am Hof nur wenige Wochen in die Schule gehen. Die ist noch dazu kostenpflichtig. Von der Anzahl der unterrichteten Kinder ist das Salär des Lehrers abhängig.

 

Weitere Beiträge behandeln die Verbreitung des Liedes sowie die Urheberstreitigkeiten in den 1870er und 1890er Jahre (S. 101 ff). Dazu zitiert Mitautor Thomas Hochradner aus der damals erscheinenden „Salzburger Chronik“ Leserbriefe und Antworten.

 

Als Technikerin fasziniert mich das Kapitel über die, schon früh einsetzende technischen Möglichkeiten der Verbreitung des Liedes. Sei es via mechanische Spieldose oder als Walze im Musikapparat. Skurril mutet der musikalische Christbaumständer aus dem Jahre 1900 an (S.131).

Erstaunlich auch die frühe filmische Umsetzung des Liedes (1910). Allerdings sind nicht alle Filme über Gruber und Mohr recht gelungen. Da gibt es den einen oder anderen ordentlichen Missgriff (z.B. ein Machwerk, das Joseph Mohr als liebestollen Priester darstellt, das niemals in die Kinos gekommen ist) (Siehe S. 162 ff).

 

Sehr interessant ist auch die Veränderung des Weihnachtsfestes von einem besinnlichen Kirchenfest, an dem man eine Krippe aufgestellt hat, zu einem kommerziellen „Geschenkefest“. Dazu werden das Kopfschütteln und die Unmutsäußerung von Erzherzog Johann zitiert (S. 75). Durch seine protestantische Schwägerin Henriette von Nassau kommt ja der mit Kerzen, Glitter und Süßigkeiten geschmückte Nadelbaum ins erzkatholische Österreich.

 

Wie schon vorab erwähnt, gefallen mir die sozialgeschichtlichen Aspekte rund das Weihnachtsfest und die Weihnachtsmusik sehr gut.

 

Bei einem so bekannten Lied bleibt es nicht aus, dass es auch für politische Zwecke ge- (und manchmal miss-)braucht wird. „Wilde Nacht, streikende Nacht!“ und ähnliches singen die Arbeiter. Im Ersten Weltkrieg kursieren mehrere Umdichtungen. Auch in der Weimarer Republik des Zwischenkriegsdeutschlands gibt es neue Texte. Ein Blick auf den Nationalsozialismus zeigt, dass das Singen von (christlichen) Weihnachtslindern zwar nicht explizit verboten, jedoch verpönt ist.

 

Ein Kapitel beschäftigt sich mit der Vermarktung des Liedes als Pophit: Von Bing Crosby bis Sinhead O’Connor. In allen Richtungen der Unterhaltungsmusik ist „Stille Nacht“ angekommen und ist als (manchmal störender) Ohrwurm die ganze Adventzeit zu hören.

 

Interessant zu lesen ist auch, wer und welche Gemeinde am Ruhm des Weihnachtsliedes mitnaschen will. Diese sind vor allem die 13 Trägergemeinden der „Stille-Nacht-Region“. Die Balance zwischen Gedenken und Vermarktung, ist nicht einfach zu halten.

 

Was mir persönlich besonders gut gefällt, ist das reduzierte, aber dennoch ins Auge fallende Cover: die grüne Darstellung der Melodie als Frequenzmuster, erinnert mich frappant an einen querliegenden Weihnachtsbaum.

 

Viele Fotos, Faksimiles und ausführliche Quellen machen dieses Buch zu einem tollen Nachschlagewerk zum wohl bekanntesten Weihnachtslied. Das Buch bietet sich als qualitativ wertvolles Geschenk wie von selbst an.

 

Fazit:

 

Ein umfangreiches, detailliertes und interessantes Buch zum „Stille-Nacht-Lied“. Gerne gebe ich eine Leseempfehlung und 5 Sterne.