Rezension

Eindringlich und intensiv...

Verschwunden - Colum McCann

Verschwunden
von Colum Mccann

Bewertet mit 4 Sternen

Eine kurze aber eindringliche Geschichte, die das Können McCanns erahnen lässt. Auf wenigen Seiten entsprinnt sich ein menschliches Drama...

Sh’khol – so nennt man im Hebräischen Eltern, die ihr Kind verloren haben. Im Deutschen gibt es dafür kein Wort. Rebecca ist Übersetzerin aus dem Hebräischen. Ihr Mann hat sie verlassen, und sie lebt mit dem gemeinsam adoptierten Sohn Tomas im irischen Galway an der Atlantikküste. Der dreizehnjährige Tomas schwimmt für sein Leben gern im offenen Meer. Rebecca erfüllt seinen großen Traum und schenkt ihm einen Neoprenanzug – am nächsten Morgen, als sie aufwacht, sind er und der Anzug verschwunden. Es beginnen Tage des Suchens, des Wartens, des Hoffens, der Schuldgefühle, der Verzweiflung... (Verlagsbeschreibung)

Aufmerksam wurde ich auf Colum McCann durch etliche lobende Rezensionen zu dessen Roman "Apeirogon". Bei der Sichtung seiner Romane stieß ich schließlich auch auf dieses Büchlein - als Einstieg in das Werk des irischstämmigen Autors erschien mir dies gerade richtig.

Im Alter von sechs Jahren wurde Tomas aus einem russischen Waisenhaus heraus adoptiert, und seither lebt er in Nordirland. Der Vater hat die Familie verlassen, nun kümmert sich die Mutter Rebecca allein um den 13Jährigen, der taub ist und unter dem FAS (fetalen Alkohol-Syndrom) leidet. Sie verbringen Weihnachten in einem abgelegenen Haus in Galway am Atlanktik, und Rebecca hätte ihrem Sohn keine größere Freude machen können als mit dem Nassanzug, mit dem das Schwimmen auch im Winter möglich ist.

Rebecca genießt den Weihnachtstag, der friedlich verläuft - doch am nächsten Morgen ist Tomas verschwunden, und mit ihm der Neoprenanzug. Eine fieberhafte Suche beginnt, mit Fischerbooten, Polizisten, Suchhunden, Rebeccas Ex-Mann. Doch es fehlt jede Spur...

Auf wenigen Seiten skizziert Colum McCann ein menschliches Drama, dem man sich kaum entziehen kann. Bangen und Hoffen, Verzweifeln und Selbstvorwürfe, Erinnerungen und Einsamkeit - all dies begnet dem Leser hier und lässt ihn mitschwingen. Ein eindringliches und intensives Leseerlebnis, die Figuren in wenigen Strichen gezeichnet und dabei glaubhaft vor Augen stehend.

Der eigentlichen Erzählung folgend erwartet den Leser ein außergewöhnliches Nachwort - der Verleger Nikolaus Hansen berichtet von seinen Begegnungen mit Colum McCann, bei denen sie stets kurze oder längere Spaziergänge unternommen haben. Dies wirft ein persönliches Licht auf den Autor, den man dadurch selbst ein Stück weit zu kennen glaubt. In jedem Fall macht auch dieses Nachwort neugierig auf weitere Werke aus McCanns Feder, und der ein oder andere seiner Romane liegt hier schon bereit. Ich bin gespannt!

In jedem Fall gibt es hier eine klare Leseempfehlung...

 

© Parden